Im Aquarium

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Sonntag, 8. März 2020

Zum Weltfrauentag: Ilse Koch


Jedes Jahr das gleiche Ritual: Der Vatertag wird von Politik und Medien genutzt, um auf Männer einzudreschen, der Weltfrauentag dagegen, um den Heiligenschein von Frauen zu polieren und deren ewiges Opferlamento zu reproduzieren. Da die von sich selbst besoffenen Journalisten in ihren redaktionellen Filterblasen nicht willens sind, einen realistischen Blick auf die Wirklichkeit zu werfen, habe ich beschlossen, jedes Jahr zum 8. März als Korrektiv ein besonders widerliches Exemplar des weiblichen Geschlechts zu präsentieren samt den Bagatellisierungsversuchen derer, die von ihren reaktionären Geschlechterklischees einfach nicht lassen können.

Ilse Koch

Ilse Köhler, geb. 22.9.1906 in Dresden, gest. 2.9.1967 im Frauengefängnis Aichach (Oberbayern) durch Selbstmord. Beruf: Sekretärin. Am 2.4.1932 bittet sie um Aufnahme in die NSDAP, die ihr am 1.5. bewilligt wird. 1934 lernt sie den Sturmbannführer der SS Karl Koch kennen, den sie im Mai 1937 heiratet. Sechs Wochen danach übernimmt er das Kommando über das KZ Buchenwald, Ilse folgt ihm Ende des Jahres. Mit ihrem Mann und den Kindern, die sie bekommt, lebt sie in einer von Häftlingen errichteten Villa in der SS-Führersiedlung von Buchenwald. Beide führen dort ein ausschweifendes Leben, während sich die Bevölkerung ab 1939 kriegsbedingt einschränken muss, und bereichern sich in großem Stil.

Die „Kommandeuse“, wie man Ilse Koch nennt, wird binnen Kurzem zur verhasstesten Person des Lagers. Sie lässt von den Gefangenen unter mörderischem Tempo eine Reithalle bauen, was zahllose Häftlinge das Leben kostet, und hat ein sadistisches Vergnügen daran, die Menschen, die ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, zu quälen, indem sie etwa Häftlinge, die ihr Missfallen erregen, bei Bewachern denunziert und dafür sorgt, dass sie bestraft werden. Übliche Strafe im Lager ist das Verprügeln auf dem Prügelbock. Wenn ihr danach ist, schlägt sie Gefangenen mit ihrer Reitpeitsche ins Gesicht, gelegentlich hetzt sie auch einen Hund auf den einen oder anderen Häftling, der dabei grausam zugerichtet wird und unter Umständen an den Folgen stirbt. Außerdem sieht sie gern bei Hinrichtungen zu.

Dreimal wird Ilse Koch später vor Gericht gestellt: 1943 (gemeinsam mit ihrem Mann) von der SS, 1947 von einem US-Militärgericht und 1950 von den Deutschen.


Der Mythos

Weltweite Verbreitung findet das Gerücht, sie hätte Häftlinge ihrer Tätowierung wegen töten lassen und anschließend dafür gesorgt, dass ihnen die Haut abgezogen und diese zu Pergament verarbeitet wird, woraus dann Lampenschirme, Büchereinbände, Geldbörsen und Handtaschen hergestellt worden seien, sowohl für den Eigengebrauch als auch um sie zu verkaufen oder Nazigrößen als Geschenk zu überreichen. Angesichts der Tätowierung eines Unglücklichen soll sie geäußert haben: „Oh! Der ist schön, der geht nicht in den Ofen, der gehört mir.“ Woraufhin der Mann angeblich gehängt wurde (PD, S. 90).


Die Kritik

Natürlich kommen ihr schon frühzeitig weiße Ritter zu Hilfe, um sie zu entlasten, beispielsweise Gerhard Mauz 1967 im Spiegel anlässlich ihres Selbstmords: „In einer Welt, wie der unter Hitler, konnte und musste eine Ilse Koch ihrer Veranlagung folgen. (...) Ilse Koch hat sich erhängt in Aichach, ein Opfer eigener Schuld, aber wohl mehr noch ein Opfer kollektiven Willens zur Selbstentschuldigung.“

Diejenigen, die an einer Verharmlosung ihrer Verbrechen interessiert sind, berufen sich in der Regel auf das Buch von Arthur Smith, der darin zu Recht deutlich macht, dass die Gerichtsverfahren gegen sie fehlerhaft waren, teilweise von unerfahrenen Militärs geführt wurden und sicher auch andere Faktoren als die Suche nach der Wahrheit hineinspielten, namentlich die politischen Umstände (Beginn des Kalten Krieges, Kompetenzgerangel, das schlechte Gewissen der Deutschen und ihr Interesse zu beweisen, dass sie bereit waren, Kriegsverbrecher zu bestrafen), die mediale Vorverurteilung und die Forderung der Öffentlichkeit nach Rache. Richtig ist auch, dass im Gegensatz zu ihr viele Kriegsverbrecher nach kurzer Zeit begnadigt wurden (S. 202).

Obwohl sich Smith um Genauigkeit bemüht, akribisch recherchiert hat und Ilse Koch durchaus nicht weißwäscht, sondern sie als moralisch verkommene, rücksichtslose und grausame Person bezeichnet, sind doch andererseits seine eigenen Vorurteile nicht zu übersehen. Während er etwa Karl Koch schonungslos als den brutalen Machtmenschen darstellt, der der SS-Mann zweifellos war („als Verbrecher geboren“ (S.9), „wird von allen als äußerst rücksichtslos geschildert“, „skrupellos“, „unberechenbar“, „gefühllos“, „hinterhältig“, „jähzornig“ (S. 12), „Abschaum“ (S. 45)), sucht er für Ilse Koch nach Entschuldigungen, die er für ihren Mann nie gelten ließe: „Allerdings wird auch klar, dass auch sie ein Opfer war“ (S. 4), „ein Opfer der Zeitumstände“ (S. 5), „Sie war in die Strömungen des zeitgenössischen deutschen Extremismus geraten“ (S. 207), „An diesem Punkt [als sie ihren späteren Mann kennenlernte] begann für Ilse der Weg nach unten. Wenn sie nur geahnt hätte, was das Schicksal für sie bereit hielt, dann wäre sie nie eine Beziehung mit Karl eingegangen. Tatsächlich erkannte sie sein wahres Wesen erst, als es bereits zu spät war“ (S. 9, kritiklos übernommenes Zitat eines Freundes der Familie).

Dass Aussagen in den Gerichtsverfahren gegen sie mit Vorsicht zu genießen sein mögen, weil sie auf Hörensagen beruhten, weil Zeugen aus der zeitlichen Distanz Dinge durcheinanderbrachten oder ihr Gedächtnis aufgrund der barbarischen Zustände in Buchenwald nicht mehr zuverlässig arbeitete, weil sie gar von übereifrigen Angehörigen der US-Militärregierung beeinflusst oder bedroht wurden (S. 114-115, 220, 222) oder Wichtigtuer und Trittbrettfahrer sich an der allgemeinen Hysterie beteiligten, all das ist nachvollziehbar. Die Behauptung jedoch, es könnten auch Rachemotive mitgespielt haben, derentwegen Zeugen möglicherweise gelogen hätten (S. 62), macht als Unschuldsbeweis wenig Sinn. Warum sollte man sich an jemandem rächen wollen, der einem nichts getan hat? Es erklärt auch nicht den beispiellosen Hass gegen sie, der durch die Tatsache, dass sie als Frau etwas Besonders im Lager war, nicht verständlicher wird, schließlich gab es noch sieben andere SS-Frauen dort (S. 36), gegen die keinerlei Anschuldigungen erhoben wurden.


Die Fakten

Allgemeine Übereinstimmung besteht darin, dass Ilse Koch eine notorische Lügnerin war. Sie hat ihre Biografie zu schönen versucht, ihre Mitgliedschaft in der NSDAP vor Gericht verschwiegen und in den Prozessen grundsätzlich alles geleugnet, was ihr vorgeworfen wurde, selbst offensichtliche Dinge (Der Vorsitzende im Prozess von 1950: „Wenn man auch die selbstverständlichsten Dinge abstreitet, kann man nicht erwarten, in strittigen Punkten Glauben zu erwecken.“ (vgl. auch S. 92); „Es gibt Dinge, die man abstreiten kann, aber Sie streiten ja auch jede Kleinigkeit ab.“ (S. 194)).

Richtig ist, dass Ilse Koch keine offizielle Stellung bekleidet hat und demzufolge keine Befehlsgewalt besaß. Aber ebenso richtig ist, dass sie es verstanden hat, sowohl ihren Ehemann als auch andere SS-Männer dazu zu bringen, an ihrer Stelle zu handeln, wie auch Smith zugibt (S. 53, 208-209, 215).

Dass sie in Bezug auf das Lager ahnungslos gewesen sein will („Ich sah Gefangene nie so abgemagert, dass es mir aufgefallen wäre (...), ich habe die Gefangenen nie genau angesehen“), darf getrost ins Reich der Märchen verwiesen werden, zumal sie einen Schlüssel für das Büro ihres Mannes besaß, wo sie sich regelmäßig die Akten anschaute (S. 52, 93, 210, 215).

Umstritten ist, ob sie sich innerhalb des mit Stacheldraht eingezäunten Gefangenenbereichs des Lagers aufgehalten hat. Die Frage mag für ein Gerichtsverfahren von Bedeutung sein, für die Bewertung der Vorwürfe ist sie unerheblich, denn Ilse Koch hatte auch außerhalb genug Gelegenheit, mit Gefangenen in Kontakt zu kommen, etwa auf dem Weg zur Krankenstation oder auf dem Weg zum Arbeitseinsatz, beim Straßenbau, bei Arbeiten an der Koch’schen Villa etc. (S. 57-58, 60-63), ganz abgesehen davon, dass ihr Häftlinge als Diener zur Verfügung standen.

Erwiesen ist, dass sie persönlich Gefangene geschlagen (S. 60-62, 166, 170), Hunde auf Gefangene gehetzt (S. 195) und Gefangene gemeldet hat, die dann bestraft wurden (S. 170, 211, 216). Die berüchtigte Prügelstrafe auf dem „Bock“, auf dem Gefangene mit Bambusstock oder Weidenrute auf den nackten Hintern geschlagen wurden, was häufig Blutgefäße zum Platzen brachte, war eine Tortur, die viele der geschwächten Männer nicht überlebten (S. 42). Erwiesen ist auch, dass Ilse Koch gern bei den Quälereien zugesehen hat (S. 58).

Dass es abgezogene Menschenhaut und Lampenschirme aus Menschenhaut in Buchenwald gegeben hat, auch in der Koch’schen Villa, ist im Übrigen ebenfalls unbestritten (S. 102-103, 123, 124, 126-128, 134, 164, 165, 192, 224-225), es konnte lediglich in den Prozessen kein unmittelbarer Bezug zu Ilse Koch hergestellt werden.

Ohnehin verstellt die Fixierung auf abartige Perversionen den Blick auf Ilse Kochs typisch weibliche Verhaltensweisen. Die schon erwähnte indirekte Gewaltausübung durch willfährige Männer, die ihr erlaubten, Verantwortung zu delegieren, ist eine davon. Sich an sexueller Macht über Männer aufzugeilen und diese mit sadistischer Lust an Gewalt zu kombinieren, eine andere.

Erwiesen ist, dass sie provozierende Kleidung trug und aufreizend vor den Häftlingen herumstolzierte, um diejenigen, die sie ansahen oder von denen sie es auch nur behauptete, zu melden und wegen Belästigung bestrafen zu lassen (S. 28, 36, 85-86, 208-209), weil sie „die Frau des Kommandanten begehrt“ hätten (S. 61). Die Bestrafung geschah, wie erwähnt, durch den „Bock“ und führte nicht selten zum Tode. Im SS-Prozess gab sie zu, dass sie Häftlinge für Bestrafungen gemeldet hatte, weil diese sich „ihr gegenüber in ungehöriger oder beleidigender Weise betragen hätten“ (S. 64, 216), eine Aussage, die sie später mit der Begründung, sie hätte einen „Nervenzusammenbruch“ erlitten, widerrief.

Typisch weibliches Verhalten kann man auch bei den Prozessen beobachten, sobald es darum ging, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen.


Die Prozesse

Aufgrund von Intrigen innerhalb konkurrierender Nazicliquen und weil die Kochs ihre kriminellen Aktivitäten übertreiben und in großem Stil Bargeldbeträge und Wertsachen unterschlagen, werden Karl und Ilse Koch 1943 von einem SS-Gericht wegen „Wehrkraftzersetzung, Unterschlagung und Mord“ angeklagt (Letzteres, weil Karl Koch Häftlinge, die unliebsame Zeugen seiner Verfehlungen waren, ermorden ließ und diese Morde durch gefälschte Krankenakten zu natürlichen Todesursachen umdichtete, S. 80, 88). Ilse Koch schiebt alles auf ihren Mann und stilisiert sich zu seinem Opfer, wie es in solchen Fällen üblich ist (S. 72, 216), ändert jedoch ihr Verhalten später, als es ihr zum Vorteil gereicht (S. 74). Auch simulierte Nervenzusammenbrüche gehören zu ihrem Standardrepertoire (S. 72). Karl Koch wird zunächst freigelassen, später zum Tode verurteilt und im Frühjahr 1945 hingerichtet, seine Frau freigesprochen, weil sie weiß, was sie zu tun hat: „Man braucht den Richtern nur schöne Augen zu machen und das Blaue vom Himmel herunterzulügen.“ (PD, S. 127, 133).

Nach dem Krieg wird sie verhaftet und kommt 1947 vor ein US-Militärgericht in Dachau. Dort hat sie die Stirn zu behaupten, sie sei wie eine Mutter zu den Gefangenen gewesen. Weil sie es schafft, sich während ihrer Gefangenschaft schwängern zu lassen, kommt sie um die Todesstrafe herum und wird zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Da die Beweisführung im Prozess fehlerhaft war und einer objektiven Nachprüfung nicht standhält, lässt General Lucius Clay ihre Strafe auf vier Jahre herabsetzen. Als diese Nachricht durchsickert, löst sie Empörung aus.

William D. Denson, der Ankläger im US-Prozess, erklärt nach der Herabsetzung des Strafmaßes: „Ich wusste viel mehr über Ilse Koch, als in den Prozessakten aufgenommen wurde. (...) Viele Einzelheiten konnten vor Gericht nicht vorgebracht werden. Ein großer Teil der Akten über sie kann auch hier nicht wiedergegeben werden, weil es so unaussprechlich unanständig ist. Es genügt zu sagen, das Ilse Koch eine noch nie dagewesene sadistische Perversität besaß.“ (PD, S. 11).

Unter dem Druck der Öffentlichkeit wird ihr ein weiterer Prozess gemacht, diesmal von den Deutschen. Dieser findet 1950 vor dem Schwurgericht Augsburg statt, wo Ilse Koch arrogant auftritt, wohl weil sie davon ausgeht, wie immer glimpflich davonzukommen (Nach dem Krieg soll sie gesagt haben: „Ich habe noch genug Charme, um einen amerikanischen oder französischen Offizier für mich zu gewinnen, der mich dann beschützen wird.“ (PD, S. 141)). Sie leugnet ihre Taten, kann sich angeblich an nichts erinnern, behauptet, die Ankläger hätten sich gegen sie verschworen und würden mit ihren schmutzigen Fantasien eine sittenreine Frau und Mutter mit Dreck bewerfen, spielt Nervenzusammenbrüche vor und hofft offenbar, für unzurechnungsfähig erklärt zu werden (S. 197). Es nützt ihr nichts. Sie wird wegen Anstiftung zum Mord, Anstiftung des versuchten Mordes, Anstiftung zu schwerer körperlicher Misshandlung und in zwei Fällen der körperlichen Misshandlung zu lebenslanger Haft verurteilt und erhängt sich 1967 in ihrer Zelle.


Quellen:
Arthur L. Smith jr.: Die Hexe von Buchenwald (Böhlau, Weimar – Köln – Wien, 1994)
Pierre Durand: Die Bestie von Buchenwald (Brandenburg. Verlagshaus, Berlin 1990)
Wolfgang Benz: Legenden, Lügen, Vorurteile (DTV, München 1995)
Klaus-Michael Mallmann / Gerhard Paul: Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiografien (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004) (S. 126 – 133)
David A. Hackett: Der Buchenwald-Report (C. H. Beck, München 1996)

https://de.wikipedia.org/wiki/Ilse_Koch
https://en.wikipedia.org/wiki/Ilse_Koch
http://www.scrapbookpages.com/DachauScrapbook/DachauTrials/IlseKoch.html
http://www.buchenwald.de/1132

Die Spiegel-Berichterstattung von 1948 – 1950 und 1967:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44419496.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44420953.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44447388.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44451261.html
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46462444.html

(PD = Pierre Durand; alle anderen Seitenzahlen beziehen sich auf das Buch von Arthur L. Smith)


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Gunnar