Im Aquarium

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Dienstag, 8. März 2022

Zum Weltfrauentag: Leni Riefenstahl

 

Jedes Jahr das gleiche Ritual: Der Vatertag wird von Politik und Medien genutzt, um auf Männer einzudreschen, der Weltfrauentag dagegen, um den Heiligenschein von Frauen zu polieren und deren ewiges Opferlamento zu reproduzieren. Da die von sich selbst besoffenen Journalisten in ihren redaktionellen Filterblasen nicht willens sind, einen realistischen Blick auf die Wirklichkeit zu werfen, präsentiere ich jedes Jahr zum 8. März als Korrektiv ein besonders widerliches Exemplar des weiblichen Geschlechts samt den Bagatellisierungsversuchen derer, die von ihren reaktionären Geschlechterklischees einfach nicht lassen können.

 

 

„Meine Bewunderung für Sie, mein Führer, steht über allem, was ich sonst zu denken und zu fühlen vermag.“

Leni Riefenstahl, undatiert [JT 149]

 

Ob Helene Bertha Amalia Riefenstahl eine bedeutende Regisseurin war, die mit ihrer innovativen Herangehensweise Maßstäbe gesetzt hat im Sinne des oft zitierten Filmhistorikers Liam O’Leary („Sie war ein künstlerisches Genie und ein politischer Trottel“), oder ob das Gegenteil richtig ist, wie Nina Gladitz meint („Riefenstahl war keine begabte Filmemacherin, dafür aber eine geniale politische Intrigantin im Großformat“) [NG 67], soll hier nicht weiter diskutiert werden (Dass sie das brillante Ausgangsmaterial ihrer Filme ihren brillanten Kameramännern verdankt, ist ohnehin klar, es kann also nur um die Frage gehen, von wem die innovativen Konzepte, etwa die für damalige Zeit ungewöhnlichen Kamerapositionen und Kamerafahrten stammten und wer für den rhythmischen Schnitt verantwortlich war).

 

 

Die Sympathisantin

 

Riefenstahl stellte sich in späteren Jahren stets als eine Künstlerin dar, die ihre Erfolge nicht wegen, sondern trotz der NS-Diktatur erreicht hatte. [RR 184-185]. In der Tat war sie nie Mitglied der NSDAP, was sich allerdings nicht nur als entlastendes Zeugnis politischer Unschuld interpretieren lässt, sondern ebenso gut als Kalkül der Nationalsozialisten, denen klar war, dass sie mit einer scheinbar unbelasteten Filmemacherin ein wesentlich besseres Aushängeschild im Ausland hatten als mit einem Parteimitglied. [NG 212]

 

Richtig ist, dass sie 1939 im Zuge eines vermutlich von Hitler gewünschten Filmauftrags, seinen „Polenfeldzug“ und den „Führer an der Front“ filmisch-künstlerisch festzuhalten, in Końskie Zeugin eines Massakers an der jüdischen Bevölkerung wurde und dagegen protestierte, was sie allerdings nicht daran hinderte, weiterhin Propaganda für die Nazis zu betreiben. [JT 289-311] Auch hat sie offenbar während der Nazizeit vereinzelt Bekannten geholfen [JT 374].

 

Die Verrisse ihres 1932 uraufgeführten Films Das blaue Licht, die zu einem großen Teil von jüdischen Kritikern stammten, interpretierte sie jedenfalls als jüdische Hetze, mit der ihre Karriere ruiniert werden sollte. Nicht zuletzt deshalb setzte sie auf Hitler in der Hoffnung, von der Ausgrenzung der Juden im Kulturbetrieb zu profitieren. [JT 125-126, 362-364; NG 133] Dass sie die Ideologie der Nazis vertrat, bestätigt ein Tagebucheintrag Goebbels’: „Sie ist die Einzige von all den Stars, die uns versteht.“ [NG 133] Auch ihre Beziehung zum judenfeindlichen Hetzer Julius Streicher, der zeitweilig ihr Geliebter war, [NG 148] was sie später zu verschweigen suchte, verdeutlichen, wo ihre Sympathien lagen. [JT 367-371]

 

Der Ideologie der Nazis stand sie also positiv gegenüber, diente sich Hitler immer wieder an, war egomanische Nutznießerin des menschenverachtenden Systems, begrüßte die Annexion Österreichs [JT 265-266] oder den Einmarsch in Frankreich [JT 316; NG 271-272; KW 364] und war für ihre Karriere bereit, buchstäblich über Leichen zu gehen. Entgegen ihren späteren Beteuerungen wusste sie auch nicht nur von den Konzentrationslagern, sondern bediente sich der Angst der Häftlinge davor, um sie für ihre Zwecke auszubeuten. [NG 291-298]

 

 

Die Skrupellose

 

Männer haben sie immer wieder gefördert, was sie nicht daran hinderte, sie zu opfern, wenn es ihrer Karriere dienlich war. Der Bankier Harry Sokal, den sie 1923 kennenlernte und der ihr zuliebe seine Bankkarriere aufgab, unterstützte zehn Jahre lang ihre Karriere und produzierte u. a. ihren Film Das blaue Licht, ehe er, seiner jüdischen Herkunft wegen, 1933 emigrieren musste und von Riefenstahl aus ihrer selbstgestrickten Lebenslegende gestrichen wurde. [JT 44, 69-70, 111; NG 107-108]

 

Der jüdische Filmtheoretiker Béla Balázs, der zusammen mit Riefenstahl das Drehbuch für Das blaue Licht schrieb und auch Co-Regie führte, wurde später, als es nicht mehr opportun war, mit Juden in einem Atemzug genannt zu werden, kurzerhand aus dem Vorspann entfernt. Sein Honorar, das er vermutlich bis zu einem etwaigen Erfolg des Films zurückgestellt hatte und das er als Emigrant dringend gebraucht hätte, verweigerte ihm Riefenstahl, indem sie ausgerechnet den Antisemiten Julius Streicher, den Herausgeber des Stürmer, dazu ermächtigte, juristisch gegen „die Forderungen des Juden Béla Balázs an mich“ vorzugehen. [JT 119-122; NG 107-108, 134; KW 309]

 

Das alles war allerdings nichts dagegen, wie sie dem Filmemacher Willy Zielke mitspielte, dessen Film Das Stahltier sie mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Rivalität durch Julius Streicher verbieten ließ [NG 56-81], um ihn für ihren Olympia-Film zu verpflichten und sich seine Arbeit einzuverleiben [NG 150-170]. Anschließend sorgte sie dafür, dass er in eine geschlossene Anstalt eingeliefert wurde [NG 170-178], wo man ihn zwangssterilisierte [NG 191-193, 197-198]. Riefenstahl, die dieses Schicksal mit dem Wohlwollen Hitlers im Rücken hätte verhindern können, spekulierte wohl darauf, dass er sich hinterher dankbar von ihr aus der Anstalt „retten“ und für ihren Olympia-Film benutzen lassen würde, was er jedoch verweigerte. [NG 198-203] Nachdem seine Frau um einer Scheidung willen für seine Entmündigung gesorgt hatte und er erneut in eine Nervenklinik eingewiesen wurde [NG 225-230], versuchte Riefenstahl ein zweites Mal, ihn zur Mitarbeit zu gewinnen, doch wieder lehnte er ab. [NG 237-255]. Beim dritten Mal gab Zielke, der sich nur noch den Tod wünschte, resigniert auf. Eigenmächtigkeiten, die er sich dennoch leistete, beantwortete Riefenstahl damit, ihm bzw. seiner Mutter und seinem Stiefvater mit erneuter Einweisung zu drohen. [NG 327-328] In ihrer Gewalt wurde er als Arbeitssklave wie ein Gefangener gehalten und bekam nicht genug zu essen, sodass er Hungerödeme entwickelte. Nur seiner zweiten Frau und der Unterstützung eines Mitarbeiters von Riefenstahl war es zu verdanken, dass er mit dem Leben davonkam. [NG 314-341]

 

 

Die Propagandafilme

 

Nach eigenen Angaben lernte Riefenstahl Hitler im Mai 1932 kennen, nachdem sie sowohl Mein Kampf gelesen als auch seine Sportpalastrede am 27. Februar gehört hatte und ihm einen begeisterten Brief schrieb. Nina Gladitz vermutet eine deutlich frühere Bekanntschaft, nämlich 1929 [NG 121-123]. So oder so ist unstrittig, dass Riefenstahl bereits vor der „Machtergreifung“ die Nähe zu führenden NS-Funktionären suchte und nicht nur an offiziellen Empfängen, sondern auch an privaten Zusammenkünften teilnahm. Hitler war von ihren frühen Filmen angetan, und nach seiner Ernennung zum Reichskanzler intensivierte sich der Kontakt, gegenseitige private Besuche waren keine Seltenheit. [JT 129-130, 133-137] Entgegen ihren späteren Behauptungen gibt es Zeugenaussagen, die vermuten lassen, dass sie mehr von Hitler wollte und lediglich an seiner Unfähigkeit, echte Beziehungen einzugehen, scheiterte. [JT 147-150; NG 123-126]

 

Riefenstahl behauptete später, dass Goebbels sie als Frau bedrängt und als Künstlerin zu sabotieren versucht habe. Das ist wenig wahrscheinlich. Zwar war Goebbels als Frauenheld bekannt, der seine Macht missbrauchte, um sich Frauen gefügig zu machen, doch dürfte er es kaum gewagt haben, dasselbe mit einer Frau zu tun, die so offensichtlich Hitlers Gunst genoss. Im Gegenteil gibt es Belege dafür, dass er versuchte, die beiden zu verkuppeln. [JT 145-146, 165-168] Auch Goebbels’ später aufgefundene Tagebücher zeichnen ein anderes Bild. Sicher war der Propagandaminister nicht gerade glücklich darüber, dass Riefenstahl ihn aufgrund ihrer persönlichen Beziehung zu Hitler bei der Gestaltung ihrer Filme übergehen und er daher keinerlei Einfluss auf sie ausüben konnte. Zweifellos gab es Differenzen, Neid, auch Eifersucht auf ihre Nähe zu Hitler, darüber hinaus ein Missverständnis über ihre Herkunft. [NG 185-190] Unbestreitbar erkannte er jedoch ihren Nutzen für die nationalsozialistische Ideologie und überhäufte sie mit Preisen und Auszeichnungen. [JT 168-171]

 

Dank Hitlers Protektion konnte Riefenstahl ihre künstlerischen Ambitionen in vorher unvorstellbaren Dimensionen ausleben, zudem ermöglichte er ihr einen hohen Lebensstandard. [JT 154-155, 162-163] Ein Dossier belegt beispielsweise, dass sie zwei Schwarzgeldkonten in der Schweiz mit drei Millionen Schweizer Franken (ca. 40 Millionen Reichsmark) besaß. [NG 347] Privilegiert, wie sie nun war, ging sie bei ihren Filmen verschwenderisch mit Produktionsgeldern um – in der Filmbranche besaß sie deswegen und wegen ihrer Unfähigkeit, terminliche Absprachen einzuhalten, keinen guten Ruf [NG 129, 131-132, 135] – und kannte im Umgang mit ihren Mitarbeitern nur bedingungslose Treue ihr gegenüber oder Feindschaft.

 

„Auf besonderen Wunsch des Führers“ wurde Riefenstahl damit beauftragt, einen Film über den ersten Parteitag der NSDAP nach der „Machtergreifung“ zu drehen (Der Sieg des Glaubens). Aus verschiedenen Gründen fiel dieser Film nicht zu ihrer Zufriedenheit aus, obwohl die Parteioberen nichts beanstandeten. [JT 176-187; KW 307-308] Dafür betrieb sie für Triumph des Willens, den Film über den Reichsparteitag des Folgejahrs im September 1934, einen nie da gewesenen Aufwand und nutzte rücksichtslos ihre Machtposition, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Das schloss Druck auf Filmschaffende, die kein Interesse an einer Mitarbeit hatten, mit ein. So denunzierte sie beispielsweise den Kameramann Emil Schünemann, der sich anschließend vor der Reichsfachschaft Film beim Propagandaministerium verantworten musste. [JT 203, 207-212; KW 315-316; RR 215-216]

 

Ihre spätere Behauptung, sie hätte mit ihren Parteitagsfilmen lediglich das Geschehen dokumentiert und das auch noch gezwungenermaßen, kann man allein aufgrund des gigantischen Aufwands, den sie bei ihren Filmen, vor allem bei Triumph des Willens, betrieb (anderthalb Jahre Schnitt, einschließlich Nachdrehs im Studio), ins Reich der Fabeln verweisen. [JT 213-224]

 

Zudem gibt es Hinweise darauf, dass sie mit organisatorischer Unterstützung von Adolf Eichmann einen Film über die Zerstörung eines Gettos in Polen drehte, den sie dann kurz vor dem Zusammenbruch des Naziregimes vernichtete. Eine Zeugin aus dem Haus gegenüber bestätigte, dass Riefenstahl, bevor die Amerikaner kamen, Unmengen an Zelluloidfilmen verbrannte. [NG 53, 345-7]

 

 

Tiefland

 

Nina Gladitz hält den Spielfilm Tiefland, der überall als harmloser Liebesfilm im Bergmilieu gilt, für einen antisemitischen Film über die angebliche jüdische Weltverschwörung [NG 12, 260-286]. Wenngleich manches, wie etwa die Ansiedelung des Films beim Propagandaministerium [NG 325], das Budget oder Riefenstahls spätere Veränderungen des Films [NG 265-269] die These stützen, sind andererseits manche von Gladitz’ inhaltlichen Schlüssen gewagt und wenig belegt.

 

Wie auch immer, jedenfalls nutzte Riefenstahl mitten im Krieg, als überall gespart werden und die Bevölkerung den Gürtel enger schnallen musste, die Protektion Hitlers, um geschätzte sieben Millionen Reichsmark für Tiefland zu verpulvern, [JT 322-327] und stellte noch in den letzten Kriegsmonaten kompromisslose Forderungen. [JT 354-355] Für den Dreh zwangsverpflichtete sie Sinti und Roma, die sie aus dem KZ-ähnlichen Internierungslager Maxglan und aus dem Lager Berlin-Marzahn holte, als Komparsen. Riefenstahl bestritt später, dass sie diese selbst dort ausgesucht hatte, überlebende Zeugen sagen jedoch etwas anderes aus [NG 24].

 

Außerdem verbreitete Riefenstahl die Geschichte, die Arbeitsbedingungen seien für die Komparsen deutlich besser als im Lager gewesen, auch seien sie gut ernährt und von Riefenstahl freundlich behandelt worden (angeblich sprachen die beteiligten Kinder sie mit „Tante Leni“ an). Weil Mitarbeiter ihre Sicht bestätigen, glaubten ihr viele ihrer Biografen. Überlebende schildern jedoch die unwürdigen hygienischen Bedingungen und die mangelhafte Ernährung, die noch schlechter waren als im Lager, und dass sie von morgens bis abends arbeiten mussten [NG 24-26]. Der Lohn dafür kam selbstredend nicht ihnen, sondern der SS zugute [NG 33, 301-302].

 

Ein 17-jähriges Mädchen, das vom Drehort fortlief, weil sie befürchtete, dass ihre Mutter während ihrer Abwesenheit in ein anderes Lager deportiert werden würde, wurde gefasst. Riefenstahl zwang sie, vor ihr niederzuknien und sie um Verzeihung zu bitten, andernfalls werde sie ins KZ geschickt. Was nach deren Weigerung tatsächlich geschah. [NG 291-292]

 

Einigen Komparsen hat Riefenstahl versprochen, sie vor der Gaskammer zu bewahren [NG 42-43]. In manchen Fällen hat sie dies möglicherweise tatsächlich getan [NG 310-312], in anderen definitiv nicht. Wenn der Führer fand, sie gehörten ins Lager, dann würde das schon seine Richtigkeit haben, war ihre Ansicht. [NG 302] Die meisten ihrer Komparsen wurden, nachdem sie ihre Schuldigkeit getan hatten, in die Lager zurückgebracht, etliche von ihnen starben anschließend in Auschwitz. Mindestens vier von ihnen wurden zudem Opfer von Josef Mengeles Experimenten und mit Syphilis bzw. Tuberkulosebakterien infiziert. [NG 398-399: Nr. 46 + 50 + 51, 408: Anm. 65] Riefenstahl leugnete dies stets, behauptete, sie hätte später fast alle wiedergesehen, und belegte dies u. a. mit einem selbst in Auftrag gegebenen Gutachten, von dem sich später herausstellte, dass es vom ehemaligen Lagerleiter Maxglans stammte [JT 334-341; NG 48-49; KW 371-372; RR 139]

 

 

Verklärung

 

Nach dem Krieg wurde sie viermal in Entnazifizierungsverfahren geprüft, dreimal als „vom Gesetz nicht betroffen“ und einmal als „Mitläuferin“ eingestuft. [JT 399] Gleich nach dem Ende des Naziregimes legte sie sich eine geschönte Version Ihrer Lebensgeschichte zurecht, an der sie auch dann noch festhielt, als Dokumente auftauchten, die ihre Lügen widerlegten. Wieder und wieder prozessierte sie gegen Darstellungen, die ihr nicht genehm waren. Einsicht zeigte sie nie, im Gegenteil sah sie sich aufgrund der Vorwürfe, die ihr gemacht wurden, als Verfolgte, als eigentliches Opfer.

 

Nicht wenige Feministinnen haben sie idealisiert und dabei eifrig Geschichtsklitterung betrieben. Die Filmemacherin Helma Sanders-Brahms etwa machte Riefenstahl 1990 zur Widerstandskämpferin, indem sie Tiefland als einen in Wahrheit NS-kritischen Film interpretierte, der Riefenstahls eigenes Schicksal widerspiegele („Lenis Auseinandersetzung mit den Nazis, mit Hitler, mit dem Verbrecher, dem sie dienstbar war und dem sie nichts mehr als den Tod wünschte“). Riefenstahl war für sie die unschuldige Frau in den Fängen eines tyrannischen Mannes. [NG 366-367; RR 127-130]

 

Thea Dorn (eig. Christiane Scherer) griff diese These später auf [JT 360, Anm. S. 548] und verfasste ein Hörspiel über Leni Riefenstahl und Marlene Dietrich, das anschließend zu einem Theaterstück umgebaut wurde (von dem der Spiegel allen Ernstes behauptete, es sei „sauber recherchiert“). Dorn, die ihr Theater „als Gegenprogramm zu den Welterklärungsstücken der Männer“ begreift, sah in ihrem Idol eine Frau, die aufgrund ihrer Selbstständigkeit gehetzt wurde [JT 490-491] und fragte sich: „Wie ist es zu erklären, dass die politisch viel Naivere, Dümmere, Verleugnendere, also Leni, letzten Endes mit ihren Entscheidungen, mit ihrem Bild von Weiblichkeit viel fortschrittlicher war?“ Und: „Dass sie sich dem Hitlerregime angeschlossen hat, war der Preis für ihre künstlerische Emanzipation.“ Das verharmlosende „angeschlossen“ bedient dabei den Mythos der bloßen Mitläuferin und verschleiert die Tatsache, dass Riefenstahl aktiv Handelnde war, die die Macht, die ihr aus der Zusammenarbeit mit dem faschistischen Regime erwuchs, für ihre Zwecke eingesetzt hat. Rücksichtslos.

 

Alice Schwarzer – die sich durch eine ähnliche Empathie- und Skrupellosigkeit wie Riefenstahl auszeichnet, wenn sie etwa den Kosovo-Krieg oder die Opfer von Tragödien wie dem Amoklauf von Winnenden für ihren Männerhass instrumentalisiert, und die auch einen ähnlich laxen Umgang mit der Wahrheit pflegt, wenn sie z. B. behauptet, Frauen würden fünf Jahre früher als Männer sterben oder vor Gericht härter als Männer bestraft werden, eine „Schwester im Geiste“ also [NG 363-364] – diese Alice Schwarzer machte sich, wenig verwunderlich, Riefenstahls Lügen zueigen. Etwa dass diese es vor ihrer Liaison mit den Nazis aus eigener Kraft (und nicht etwa aufgrund der Finanzierung durch Harry Sokal) geschafft habe, Hauptdarstellerin in einigen Bergfilmen zu werden, dass Goebbels ihr nachgestellt habe, dass sie sich nur widerwillig auf die Parteitagsfilme eingelassen habe, dass sie versucht habe, die ungeliebte Arbeit an Triumph des Willens einem anderen Regisseur zuzuschieben [vgl. JB 204-207], dass sie überhaupt zu allem gedrängt worden sei und nicht etwa selbst die Nähe der Machthaber gesucht hätte („Und noch einer bewunderte sie über die Maßen, ohne dessen Admiration ihr viel Ärger erspart geblieben wäre: Adolf Hitler“).

 

Die Beschlagnahmung des Filmmaterials von Tiefland nach dem Krieg durch die Franzosen deutete Schwarzer so: „Man war entschlossen, sie als ‚Frau’ zu vernichten, um sich ihre Arbeit als ‚Mann’ einverleiben zu können.“ Eine besonders perfide Umdeutung der Wirklichkeit, wenn man weiß, wie sehr Riefenstahl ihre Karriere Männern verdankt und in welchem Ausmaß sie den Anteil etlicher Männer an ihren Produktionen verleugnet hat, vor allem aber, wenn man bedenkt, dass sie Fotos zum Olympia-Film von Willy Zielke buchstäblich aus seiner Wohnung gestohlen und als ihre ausgegeben hat [JT 254; NG 155-161; RR 189].

 

Damit nicht genug verkürzte Schwarzer Riefenstahls jahrelange Arbeit für die Nationalsozialisten mal eben auf drei Monate. Stattdessen zeichnete sie die von ihr Bewunderte als arme Verfolgte, als Opfer einer „Hexenjagd“, und zwar nicht wegen ihrer Mitschuld an der Schönfärberei des Nationalsozialismus, sondern „weil die angeblich besondere Schuld dieser Frau den Wahn der Millionen Männer verdeckt“. Denn: „Wie alle Legenden ist auch die Riefenstahl aus der Nähe nur ein Mensch, in dem Fall noch ein weiblicher dazu, also bescheiden und verbindlich im Auftritt.“

 

Feministinnen kennen keine Scham.

 

 

 

Quellen:

Jürgen Trimborn: Riefenstahl. Eine deutsche Karriere (Aufbau Taschenbuchverlag, Berlin 2002) [JT]

Nina Gladitz: Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin (Orell Füssli, Zürich 2020) [NG]

Karin Wieland: Dietrich & Riefenstahl. Die Geschichte zweier Jahrhundertfrauen (DTV, München 2014) [KW]

Rainer Rother: Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents (Henschel, Berlin 2001) [RR]

Die Macht der Bilder (Dokumentarfilm, Regie: Ray Müller, 1993)

 

Wer sich näher mit Leni Riefenstahl beschäftigen möchte, dem empfehle ich die beiden erstgenannten Bücher. Trimborn untersucht sachlich Fehlinformationen, Nina Gladitz kommt mit einer Fülle bis dato unbekannter Fakten daher, auch wenn ich mir eine weniger dramatisierende Sprache gewünscht hätte („Dieser Eindruck hatte sich in mir festgesetzt wie eine unauslöschliche Gewissheit. Der Schock ihrer Offenbarung war so gewaltig ...“, NG 45), die den ohnehin dramatischen Inhalt unnötig überlagert.

 

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Pauline Nyiramasuhuko

Ilse Koch

Beate Zschäpe

 

 

2 Kommentare:

  1. Und nicht vergessen: Alice Schwarzer, die sich einige solcher Ausfälle leistete, ist mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

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  2. Selbst eine Riefenstahl wird im feministischen Universum zum bedauernswerten Opfer.

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Vielen Dank für deinen Kommentar. Sobald ich ihn gelesen und geprüft habe, schalte ich ihn frei.
Viele Grüße
Gunnar