Guten Tag! Schön, dass so viele
Damen zu unserer Veranstaltung über die heteronormative Gesellschaft gekommen
sind. Wir lernen heute, wie man belastende Gespräche unterbindet und offenen
Diskussionen aus dem Weg geht. Außerdem gibt es einen diskriminierungssensiblen
Raum, eine Art erweiterten Mutterschoß, in dem grundsätzlich allem zugestimmt
wird, was eine von euch sagt. Aber am besten, ihr stellt euch erst mal vor.
Vielleicht könnt ihr auch kurz eure Erfahrungen mit cis-Männern andeuten oder
was euch in diesem Zusammenhang wichtig ist.
Ja, also, ich bin Studentin und
möchte mit Triggerwarnungen geschützt werden: vor Kant und dem „großen Gatsby“,
vor rosa Ü-Eiern und Spargelstechern, am besten auch vor Zucchini und Möhren
und allem, was sonst noch phallisch aussieht, vor dem Duden, eigenen Meinungen
und kritischen Kommentaren. Es könnte mich sonst traumatisieren, mich mit einem
Mal in der wirklichen Welt wiederzufinden, versteht ihr?
Ich heiße Jasna und darf in der
Süddeutschen darüber jammern, dass mich keiner einstellt. Zum ersten Mal in
meinem Leben muss ich mit Widerspruch fertigwerden – könnt ihr euch vorstellen,
wie belastend das ist? #Aufschrei!
Ich leide furchtbar unter Hate
Speech. Neulich hat mich so ein Maskutroll sogar offen kritisiert, bloß weil
ich ihn als Fascho beschimpft und einen Shitstorm gegen ihn ausgelöst habe, das
muss man sich mal vorstellen!
Ich heiße Luise und möchte mit
„Eure Majestät“ angeredet werden. Wie soll sich eine Prinzessin sonst gemeint
fühlen?
Ich bin eine Quotenfrau und ohne
Qualifikation als Führungskraft eingestellt worden, wie mir das nun mal
zusteht. Zwar habe ich die Firma anschließend gegen die Wand gefahren, aber
natürlich sind daran die Männer schuld, weil sie mich haben auflaufen lassen.
Keine Ahnung, wo und wann, das ist ja gerade das Perfide, dass man die nie
sieht, wenn sie sich gegen einen verschwören.
Also, ich bin keine Quotenfrau,
ich wähle lieber einen Beruf, in dem Aufnahmekriterien und Arbeitsbedingungen
für uns gegenüber denen für Männer heruntergeschraubt werden.
Ich heiße Antje und erwarte, dass
alle Menschen raten, in welcher Stimmung ich mich gerade befinde. Und dass sie
mich entsprechend anreden: als er/sie/es, das Lannx oder Sternchen ***. Als
Kind haben schließlich auch alle auf meine Launen reagiert.
Ich finde, dass der Zwang, alles
belegen und begründen zu müssen, zu einer Benachteiligung von uns Frauen führt
und unsere Wahrnehmung entwertet. Ich weiß, dass ich unterdrückt werde, dafür
brauche ich doch keine Beweise. Und überhaupt: Warum kann meine Meinung nicht
direkt in die Gesetzgebung einfließen, ohne dass weiße Heteromänner ihren Senf
dazugeben?
Ich heiße Emma, äh, Alice, und
ich finde es gemein, dass mich keiner mehr will, nicht mal die anderen Emmas.
Das ist ungerecht. Die haben mich doch sonst jahrzehntelang hofiert.
Ich heiße Annemie und veranstalte
in meinem Theater ein „Festival über Privilegien“. Der Männer, natürlich. Zum
Beispiel das Privileg, uns versorgen zu müssen. Oder das Privileg, sich von uns
verhöhnen, verachten und missbrauchen zu lassen. Natürlich krieche ich dem
Staatsfeminismus in den Arsch, aber das tu’ ich gern, schließlich will ich ja
auch weiterhin durch die Kulturstiftung des Bundes gefördert werden.
Vielen Dank für eure Offenheit.
Ich sehe schon, das wird eine interessante Runde. Nachdem ihr nun alle diese
schockierenden Erfahrungen aushalten musstet, die eure Schwestern im
Patriarchat gemacht haben, seid ihr sicher so erschöpft wie ich. Lasst uns deshalb
eine halbe Stunde Pause machen und in den diskriminierungssensiblen Raum
zurückziehen, bis wir genug Kraft gesammelt haben, um den ersten
Tagesordnungspunkt durchzustehen: „Warum das Lackieren von Fußnägeln Schwerstarbeit
ist.“
(Stühlerücken und langsam
ausblenden.)
(Dieser Artikel erschien zuerst am 3.6.2015 im Blog "Nicht-Feminist")
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Vielen Dank für deinen Kommentar. Sobald ich ihn gelesen und geprüft habe, schalte ich ihn frei.
Viele Grüße
Gunnar