Im Aquarium

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Samstag, 24. Juni 2023

Handreichung zur Medienkompetenz

 In den Medien tobt ein Kampf um die Deutungshoheit. Gegenseitig werfen sich die Betreiber von klassischen Medien und Internetmedien »Fake News« oder »Populismus« vor. Die Grenze verläuft aber nicht zwischen diesen beiden Polen, sondern zwischen seriös und unseriös. Nicht nur junge Menschen, die noch nicht viel Gelegenheit hatten zu vergleichen und im Umgang mit den Medien Erfahrungen zu sammeln, auch ältere wissen oft nicht, wem sie glauben sollen. Wer sagt die Wahrheit, wer hat recht? Wie kann ein und dieselbe Sache diametral entgegengesetzt bewertet werden? Diese Handreichung soll eine Hilfestellung zur Orientierung im Mediendschungel geben.


Es hilft zunächst, sich klarzumachen, was alles kein Beweis für Seriosität ist:

– die Zugehörigkeit zu den Leitmedien
– der »gute Ruf«
– Popularität: Auflagenhöhe, Einschaltquote, Follower
– die prahlerische Selbstbezeichnung »Qualitätsjournalismus«
– die Empfehlung anderer Medien oder sogenannter Faktenchecker
– wer und wie viele Medien oder Influencer derselben Meinung sind

All das ist bestenfalls bedingt relevant. Auch langjährige Mitarbeiter angesehener Medien können manipulieren, um den Lesern bzw. Zuschauern ihre eigenen Überzeugungen in die Köpfe zu hämmern, und tun es häufig auch.

Des Weiteren hilft, sich klarzumachen, dass die Welt vielschichtig ist und wir oft genug nur über begrenzte Informationen verfügen, sodass unterschiedliche Sichtweisen auf ein Problem oder einen Gegenstand nicht nur wahrscheinlich, sondern auch berechtigt sind. Selbst wenn man prinzipiell einer Seite zustimmt, lohnt es sich, Andersdenkenden zuzuhören, weil man im Detail Neues erfahren und dazulernen kann.

Drittens hilft es, im Kopf zu behalten, dass auch jemand, dessen Weltbild man teilt, immer seine eigene Agenda verfolgt. Grundsätzliche Übereinstimmung sollte nicht dazu verführen, bedingungslos jedes Wort zu glauben. Im Übrigen sagt es auch wenig aus, welcher Weltanschauung sich jemand zurechnet. Fast jeder Mensch ist überzeugt, für das Gute zu streiten, für Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie. Das sind nur Worte. Erst die Konfrontation mit der realen Welt, mit Konflikten, Widersprüchen, Andersdenkenden stellt diese Worte auf den Prüfstand und zeigt, wes Geistes Kind jemand ist.

Wenn man diese Grundeinstellungen verinnerlicht hat, hat man schon mal gute Startbedingungen. Bei der Überprüfung eines konkreten Artikels, Podcasts oder Films können dann folgende Strategien helfen:

Frag dich: Wird in dem Beitrag nur emotionalisiert, oder werden die dort vertretenen Ansichten begründet? Und zwar nicht allgemein (»zahlreiche Studien«) oder durch Berufung auf Autoritäten (»in der Fachwelt unbestritten«), sondern konkret? Und sind diese Begründungen auch durch Quellenangaben, die du überprüfen kannst, belegt? Überprüfe sie: Ist wirklich korrekt zitiert worden? Oder ist eine Aussage derart aus dem Zusammenhang gerissen und in einen neuen Kontext gesetzt worden, dass etwas völlig anderes dabei herauskommt, als ursprünglich beabsichtigt?

Selbst wenn dir das, was gesagt wird, glaubwürdig erscheint, begründet und belegt wird – handelt es sich dabei um die ganze Wahrheit? Oder nur um die genehme Hälfte? Was sagt die Gegenseite dazu? Halbwahrheiten sind gefährlicher als Lügen. Wenn du erfährst, A habe B etwas angetan, ergibt das in bestimmtes Bild. Wenn du herausfindest, dass B zuvor A etwas angetan hat, ergibt das ein völlig anderes Bild.

Ein einfacher Trick, um Klischees und Vorurteile zu entlarven: Ändere die Vorzeichen und spüre, wie das auf dich wirkt. Tausche Frauen und Männer, Weiße und Farbige, Rechte und Linke, Alte und Junge, Kriegsparteien. Wie fühlt sich das an, wenn statt gegen andere plötzlich in denselben Worten über diejenigen geredet wird, denen du dich zugehörig fühlst? Lass dir dein Gefühl nicht durch fadenscheinige Begründungen ausreden. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe rechtfertigt nicht, mit zweierlei Maß zu messen. Doppelmoral ist keine Tugend, und der Zweck heiligt nicht die Mittel.

Vor allem: Sei kein passiver Nachrichtenkonsument. Recherchiere aktiv nach, wenn dich ein Thema interessiert. Das ist zwar anstrengender, als sich berieseln zu lassen, aber es lohnt sich. Suche nach Originaldokumenten. Jemand hat angeblich etwas Schlimmes gesagt? Sieh nach, ob es eine Aufzeichnung oder ein Transkript der Rede gibt. Eine Studie belegt angeblich dieses oder jenes? Schau sie dir selbst an – viele lassen sich im Internet finden – und überprüfe: Ist sie repräsentativ? Gibt es Interessenkonflikte der Betreiber? Wer wurde befragt: alle, um die es geht, oder nur ein bestimmter Teil? Welche Fragen wurden gestellt, waren die Fragen suggestiv? Geben die Antworten her, was daraus geschlossen wurde?

Wer diese Punkte beherzigt, schützt sich bereits recht gut gegen Manipulationen. Zum Abschluss noch ein paar Hinweise für Fortgeschrittene:

– Entsprechen Überschriften, Zwischenüberschriften, begleitendes Bildmaterial und Bildunterschriften den Fakten des Artikels oder widersprechen sie ihnen?

– Stellt ein beschriebener Zusammenhang wirklich eine Kausalität dar, oder wurde eine Korrelation unbewiesen zur Kausalität erklärt? Dass es weniger Störche gibt und zugleich weniger Kinder geboren werden, ist eine Tatsache, bedeutet jedoch nicht, dass Kinder von Störchen gebracht werden. Dass gut ausgebildete Frauen und prosperierende Nationen Hand in Hand gehen, ist eine Tatsache, aber bedeutet es, dass man nur Frauen besser ausbilden muss, um automatisch einen höheren Lebensstandard zu erzielen, oder bedeutet es, dass eben auch Frauen von einem höherem Lebensstandard profitieren?

– Wird ein unangemessener Rahmen gesetzt, z. B. sachliche Kritik als Feindseligkeit interpretiert oder eine Gewalterfahrung in der Rubrik »Humor« eingeordnet?

– Wird jemand wegen seiner individuellen Ansicht kritisiert oder aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit verurteilt?

– Wird jemand mit verächtlichen Zuschreibungen bedacht, persönlich diffamiert, verhöhnt, beschämt, lächerlich gemacht, pathologisiert oder als Monster geschildert?

– Wird jemand aufgrund bloßer Assoziation in eine moralisch verwerfliche Ecke eingeordnet, beispielsweise weil er mal bei einer Diskussionsveranstaltung zusammen mit jemandem mit extremeren Positionen auftrat (Kontaktschuld)?

– Werden die Ansichten von jemandem korrekt wiedergegeben oder aus dem Zusammenhang gerissen? Wird auf seine Argumente eingegangen oder lediglich widerlegt, was er gar nicht gesagt hat (Strohmann-Argument)?

– Wird jemandem unterstellt, dass er etwas anderes denkt oder beabsichtigt, als er sagt, dass es sich also bei seiner Position nicht um eine legitime Meinung, sondern lediglich um taktisches Kalkül handele?

– Werden Sachverhalte unterschiedlich beschrieben, je nachdem, von welcher Seite sie ausgehen (Demo – Aufmarsch, warnen – drohen, verzweifelt – wütend)?

– Sind in einer Diskussionsrunde alle Positionen angemessen vertreten oder werden bestimmte Interessengruppen ausgegrenzt? Sind die ausgewählten Personen dem Thema angemessen? Wird eine echte Diskussion zugelassen oder ständig unterbrochen und versucht, die Diskussion zu steuern?

Sei dir stets bewusst: Zu zweifeln ist eine Tugend. Dinge zu hinterfragen, ist eine Tugend. Nichts als gegeben hinzunehmen, ist eine Tugend.



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Gunnar