Seit einigen Monaten stecke ich wieder bis zum Hals
in Recherchearbeiten zu einem neuen Krimi aus der Weimarer Republik, und wie so
oft hat die Durchsicht der damaligen Tageszeitungen interessante
geschlechterpolitische Artikel zutage gefördert. Die Vossische Zeitung, offenbar die Süddeutsche
der zwanziger Jahre, hat in den Monaten von 1929, die mich derzeit interessieren,
weit über zwanzig zumeist lobhudelnde Artikel zu „Frauenfragen“ veröffentlicht.
Einige davon werfen ein bezeichnendes Licht auch auf heutige Diskussionen.
Wie
originell ist Judith Butler?
Die Butler’sche „Konstruktion der Geschlechter“ ist
bereits Thema in einem Leserbrief in der Vossischen
Zeitung vom 9.6.1929, Seite 40, dem offenbar eine Debatte zum Thema „Ritterlichkeit“
vorausging. Hier nun behauptet eine Mathematikstudentin, es sei in den Büchern
einer Prof. Vaerting gezeigt worden, „dass alle Eigenschaften, die heute dem
Manne allein im Gegensatz zur Frau zuerkannt werden, in der Geschichte in
gleichem Maße bei der Frau gefunden worden sind. Die Merkmale der Geschlechter,
wie sie heute gesehen werden – oft auch als sekundäre Geschlechtsunterschiede
bezeichnet –, sind nur ein künstliches Produkt der einseitigen
Machtverteilung“, an der die Erziehung einen großen Anteil habe.
Wie
fortschrittlich ist die SPD?
Über eine Kundgebung der SPD berichtet die Vossische Zeitung am 20.6.1929 auf Seite
6. Offenbar gibt es ideologische Differenzen zwischen Sozialdemokraten und
Gewerkschaften auf der einen Seite und dem „Open Door Council“, das gleiche
Rechte für männliche wie weibliche Arbeitnehmer fordert, auf der anderen. Eine
Befürworterin des Councils betont die Notwendigkeit verschärfter
Arbeiterschutzgesetze ohne eine Sonderstellung der Frau und wird
bezeichnenderweise als weltfremde Idealistin dargestellt. Die SPD lehnt die
Haltung des Councils explizit ab und hält an speziellen Frauenschutzgesetzen
fest. Die Hauptrednerin des Abends begründet dies mit einem Zirkelschluss: In
Ländern ohne spezielle Frauenschutzrechte würden Frauen noch mehr ausgenutzt.
Warum? Weil Frauen seit Jahrtausenden versklavt würden. Feministische Logik
eben. Eine andere Rednerin weist auf die vielen Berufskrankheiten von Frauen
hin, als gäbe es dergleichen nicht bei Männern in umfassenderem Ausmaß.
Wie
männerfreundlich ist der Feminismus?
Auch die Denkschablone „besonders Frauen“ kennt man
schon in der Weimarer Republik. Über einen Teeempfang zu Ehren der
Vizepräsidentin des „Ständigen Ausschusses für Minderheiten“ beim „Weltverband
der Völkerbund-Ligen“ gibt die Vossische
Zeitung am 21.6.1929 auf Seite 6 die Worte einer Rednerin so wieder: „Frauen
und Mütter sind ganz besonders von allen Schwierigkeiten betroffen, die das
Leben einer kleinen Minderheit in einem fremden Staatskörper mit sich bringt.“
Warum? Weil sie ihre Kinder in einem fremden Geiste erziehen müssen. Während
Arbeit und Arbeitssuche in einem fremden Land für Männer bekanntlich ein Klacks
ist.
Es folgt wirres Gerede: „Es ist gerade den Frauen
vorbehalten, die Minderheitenfrage als eine Frage der Frau, als eine
Menschheitsfrage aufzufassen und zu vertreten.“ Was denn nun?
Abschließend geht es darum, inwieweit sich
Jugendliche für die Ziele der Frauenbewegung vereinnahmen lassen. Die
ablehnenden Ausführungen einer jugendlichen Rednerin, von der Autorin des
Artikels, Dr. Margarete Edelheim, als „dogmatischer Vortrag“ bezeichnet,
gipfelt in der Aussage, die Jugend wolle nicht den Kampf gegen den Mann,
sondern das Arbeiten mit dem Mann. Den darauf folgenden Kommentar von Frau Edelheim
darf man sich auf der Zunge zergehen lassen: „Dieser Kernpunkt ihrer Rede
zeigt, dass dieser Art Jugend bei allem guten Wollen das wahre Verständnis für
die Frauenbewegung immer wieder abgeht. Das, was sie der Frauenbewegung unterschiebt,
der Kampf gegen den Mann, ist niemals Endziel oder auch nur Absicht der
Frauenbewegung gewesen. Es war nur ein notwendiges Übel, das man mit in den
Kauf nehmen musste, weil man mit dem Mann gemeinsam die Ziele zunächst nicht
erreichen konnte.“ Und in grandioser Selbstüberschätzung behauptet Frau
Edelheim, dass eine freie Jugendbewegung nur entstehen konnte, weil die
Frauenbewegung „freierer Weltanschauung Platz geschaffen und Vorurteile aus dem
Weg geräumt“ hätte. Muss schön sein, wenn rückständig und fortschrittlich fein
säuberlich entlang der Geschlechtergrenze verteilt sind.
Zum 1.Teil des „hundertjährigen Geschlechterkriegs“
Zum 3. Teil des „hundertjährigen Geschlechterkriegs“
Zum 4. Teil
Zum 3. Teil des „hundertjährigen Geschlechterkriegs“
Zum 4. Teil
Der Link auf den 1. Teil ist kaputt
AntwortenLöschenDanke für den Hinweis!
LöschenDanke für die Recherche (auch für Teil 1)!
AntwortenLöschenSehr spannend, besonders der Vorwurf aus der Jugend, der Feminismus würde gegen Männer kämpfen.