Im Aquarium

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Montag, 26. November 2018

Die Tragödie der Gesinnungskrieger

Was junge Menschen zumeist auszeichnet, ist ihr Idealismus. Sie sehen eine Welt, in der es ungerecht zugeht, und möchten es besser machen. Hinzu kommt, dass sie die Kraft und Energie haben, diese Aufgabe auch anzupacken. Naturgemäß sind sie in der Regel noch dem Schwarz-weiß-Denken verhaftet (was zugleich einer der Gründe für ihre Kraft ist) – die Erkenntnis, dass es in der Welt selten so eindeutig zugeht, kommt ebenso wie die Wertschätzung von Kompromissen erst mit zunehmender Lebenserfahrung.


Aus diesem Grund werden sie zu allen Zeiten von den jeweiligen Eliten manipuliert: wegen ihrer Kraft und weil sie Manipulationen schwerer durchschauen. Weil sie anfälliger sind für Appelle an ihr Gefühl. Früher wurden sie vor allem dazu missbraucht, die Kriege der Herrschenden zu führen. Heute ist das nicht anders, nur dass die Schlachtfelder gewechselt haben. Früher wurde ihnen in Deutschland eingeredet, die Juden oder die Franzosen seien die Urheber aller Ungerechtigkeit und mit aller Kraft zu bekämpfen. Heute wird ihnen eingeredet, der weiße heterosexuelle Mann sei an allem schuld, und gegen ihn seien alle Verbrechen erlaubt, ihm gegenüber brauche man an sich selbst nicht dieselben Maßstäbe anzulegen, die man an ihn anlegt. Der Hass, den man ihm unterstellt, sei gegen ihn gerechtfertigt.

Die Manipulationen erfolgen seit Jahrtausenden auf dieselbe Art: Es geht immer um gruppenbezogene Menschenverachtung, es geht immer um Feindbilder, es geht immer um den mythischen Kampf des angeblich Guten gegen das angeblich Böse. Und es gehört zu den Tragödien der Geschichte, dass sich ausgerechnet diejenigen, die voller Kraft und Idealismus sind, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, dazu verführen lassen, die Welt mit Hass und Leid zu füllen.

Die Parallelen, die man entdecken kann, wenn man beispielsweise Studenten aus der Weimarer Republik mit Studenten von heute vergleicht, sind offensichtlich. Und dass sie damals rechter Propaganda auf den Leim gingen und sich heute von linker Propaganda verführen lassen, stellt in meinen Augen keinen Fortschritt dar.

Denken wir an die antidemokratische Einstellung vieler Studenten, die in den 20er Jahren den demokratischen Staat bekämpften, und die Antideutschen, zumeist junge Menschen, die heute dasselbe versuchen. Oder an die Studie, die für die USA herausfand, dass 40 Prozent der Millennials bestimmte Formen der Zensur befürworten, und an die deutsche Studie, die herausfand, dass immer mehr Menschen hierzulande staatliche Eingriffe in Ordnung finden.

Denken wir daran, dass unliebsame Professoren von Studenten angegriffen und mit Hetzkampagnen verfolgt wurden und werden. In der Weimarer Republik waren das vor allem Theodor Lessing, Georg Friedrich Nicolai und Emil Julius Gumbel, heute ergeht es Herfried Münkler und Jörg Baberowski ähnlich.

Denken wir daran, dass sich damals völkische Studentengruppen „das Recht der Alleinvertretung aller Studenten anmaßen“ (Vossische Zeitung vom 22.12.1929, S. 16), und an die AStAs oder andere organisierte Studenten, die heute selbstherrlich die Geschicke ihrer Universität lenken und dabei bestimmen wollen, wer bei ihnen reden darf oder welche Bilder erlaubt sind.

Denken wir an die Unterstützung, die der Terror radikaler Studenten von höherer Stelle erfuhr (Berliner Tageblatt vom 13.11.1929, Morgenausgabe, S. 4: „... so ist mitschuldig daran das duldende oder sympathisierende Verhalten von Professoren und Universitätsbehörden“), und vergleichen es mit der Erkenntnis, dass sich auch heute kaum jemand den Extremisten in den Weg stellt, sondern sie sogar noch in ihrem antidemokratischen Verhalten bestärkt, wenn beispielsweise die Berliner Wissenschaftssenatorin das Studentenwerk in Studierendenwerk umbenennt, weil sich unter anderem der AStA dies gewünscht habe, wenn die Leitung der Uni Kassel willig der Beschwerde des AStA folgt und den Evolutionsbiologen Kutschera wegen seiner Ausführungen zur Gender-Ideologie rügt, wenn die Leitung der Alice-Salomon-Hochschule dem Druck des AStA weicht und ein angeblich anstößiges Gedicht von der Hauswand entfernt oder wenn der Senat der Universität Potsdam das generische Maskulinum durch die weibliche Form ersetzt, weil seine Mitglieder Angst vor feministischem Terror haben.

Denken wir zudem einerseits an die von Studenten erfundenen, organisierten und durchgeführten Verbrennungen unliebsamer Bücher während der NS-Diktatur und andererseits an die Tatsache, dass geschichtsvergessene Studenten von heute unliebsame Bücher wie die von Kant oder Hegel aus Unterricht und Bibliotheken verbannt wissen wollen.

Und in der Motivation einiger junger Männer, der SA beizutreten, wie sie Daniel Siemens in seinem Buch über Horst Wessel beschreibt (S.95-97), sehe ich Parallelen zu Gesinnungskriegern etwa in der Antifa: „Die SA entwickelte sich für Wessel und seine Männer zu einem sozialen Netzwerk, das Züge einer Ersatzfamilie annehmen konnte und in dem die Ausübung von Gewalt nicht nur Mittel zum politischen Zweck, sondern vor allem gemeinschaftsstiftende Praxis war. (...) Die Inszenierung einer angegriffenen Gemeinschaft weniger Auserwählter ließ die SA-Gewalt in den Augen ihrer Anhänger als Verteidigungshandeln erscheinen. (...) Wichtiger als das ideologische Programm der NSDAP war der Umstand, dass der Aktionismus innerhalb der SA den jungen Männern eine Kompensation für ihren vielfach sinnentleerten Alltag bot.“

Intoleranz, Demagogie und der Versuch, Andersdenkende mundtot zu machen ist das derzeitige Klima an den Universitäten. Noam Chomsky weist darauf hin, dass es sich dabei um Sozialisierungsinstitute handelt, die Konformität und Gehorsam belohnen (Jens Wernicke: Lügen die Medien?, S. 110-111). Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz formuliert es drastischer: „Man darf nicht vergessen, dass Universitäten Biotope der Weltfremdheit sind. Nirgendwo kann man intellektuell so losgelöst von der Wirklichkeit argumentieren.“


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Gunnar