Christoph Kucklick hat in Das unmoralische Geschlecht* nachgewiesen und anhand zahlreicher
Beispiele belegt, dass wir seit Ende des 18. Jahrhunderts Männer negativ,
nämlich als zerstörerisch, selbstsüchtig und amoralisch bewerten, während
Frauen als selbstlos, friedlich und empfindsam, kurz: als bessere Wesen gelten
(Seite 89). Damals erfolgte eine Neudeutung der menschlichen Natur, in der das
Geschlecht eine bedeutende Rolle zugeschrieben bekam, die es vorher nicht besaß.
Was die Ursachen für diese
Entwicklung angeht, fehlt mir bei Kucklicks Erklärungsansatz allerdings ein
wesentlicher Punkt.
Der Kern seiner Argumentation lautet: Die negative
Andrologie „hat sich entwickelt als Versuch, fundamentale Umbrüche der Gesellschaft
auf dem Schema von Männlichkeit / Weiblichkeit abzubilden. (...) Daraus
resultierte die symbolische Identifizierung von Männlichkeit mit jenen Aspekten
der Moderne, die als bedrohlich, ‚unmenschlich’, triebhaft (maßlos) und
gewalttätig erachtet wurden (und werden)“ (Seite 333). Die Umbrüche, von denen
Kucklick spricht, hatten jedoch noch andere Auswirkungen.
Früher teilten Männer und Frauen ihren Alltag
miteinander. Die Menschen auf dem Lande lebten häufig in Großfamilien zusammen,
der Laden des typischen Handwerkers in der Stadt befand sich im gleichen Haus
wie seine Wohnung oder wenige Straßen entfernt, was nicht nur bedeutete, dass
er an der Erziehung seiner Kinder Anteil nehmen konnte, sondern, wichtiger,
dass die Kinder täglich erlebten, was der Vater zum Familienleben beitrug.
Das änderte sich radikal mit Einsetzen der
Industriellen Revolution. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sorgten
Dampfmaschine und mechanischer Webstuhl dafür, dass sich die Lebenswirklichkeit
der Männer deutlich von ihrem bisherigen Alltag unterschied. Plötzlich waren
viele Väter gezwungen, in weit entfernten Fabriken zur Arbeit zu gehen, und
kamen erst spät abends nach Hause, körperlich erschöpft. Den Frauen oblag es,
die Kinder zu erziehen, mit weitreichenden Konsequenzen.
Erst in der Industriellen Revolution mit
überwiegender Abwesenheit der Väter von Zuhause hatten Frauen die Macht, ihre
Kinder in ihrem Sinne zu beeinflussen, eine Macht, die Männern versagt blieb.
Kinder wiederum erlebten einen abwesenden Vater, dessen Beitrag zur Familie
nicht mehr unmittelbar ersichtlich war. Umso natürlicher war es für sie, diesen
Vater nur noch durch die Augen der Mutter wahrzunehmen. Deshalb ist es für mich
kein Zufall, dass die Dämonisierung des Männlichen ungefähr zu dieser Zeit
einsetzte.
Kucklick deutet den Zusammenhang zwischen
Industrieller Revolution und Deutungshoheit der Mütter lediglich an, wenn er
vom Ausschluss der Männer aus ihren Familien spricht (Seite 228), für mich ist
dieser Punkt von zentraler Bedeutung. Mir fehlt auch eine eindeutige
Formulierung, dass die männliche Daseinsberechtigung in den Augen der Gesellschaft
immer, selbst in ihrer früheren
positiven Konnotation, daran geknüpft ist, dass Männer buchstäblich ihr Leben
für Frau und Kinder geben, ob im Krieg oder im Bergwerk. Oder, um es in den
Worten von Oliver Wendell Holmes zu sagen: „Jede Gesellschaft gründet sich auf
den Tod von Männern.“** Und dass von daher eine Umbewertung der öffentlichen
Sichtweise auf Männer – vom Helden zum Versager – eben auch eine Kontinuität
darstellt: Es ist die bruchlose Fortsetzung einer Einstellung, die männliches
Leben für verzichtbar hält.
Die zunehmende Väterausgrenzung im Laufe der
letzten zweihundert Jahre hat fatale Folgen, für den Einzelnen ebenso wie für
die Gesellschaft. Wenn Kinder ihren Vätern entfremdet werden, wenn sie sich
nicht einmal mehr ihre Sehnsucht nach dem abwesenden Vater eingestehen dürfen,
beispielsweise weil ihre Mutter ihn verteufelt, kommen am Ende zwangsläufig
Frauen wie Anita Heiliger („Väter wollen herrschen, und Mütter wollen immer nur
das Beste“) und Männer wie Sigmar Gabriel oder Barack Obama dabei heraus.
Irgendwo (leider weiß ich nicht mehr, wo) habe ich
mal sinngemäß den Satz gelesen: Muttersöhne zerstören, Vatersöhne bauen auf.
Auch wenn es sich dabei um ein pointierte Formulierung handelt, dürfte doch
jedem, der nicht ideologisch verblendet ist, klar sein, dass Väter für den
Ablösungsprozess von der Mutter und damit für das Selbstwertgefühl des Kindes
von entscheidender Bedeutung sind. Mangelndes Selbstwertgefühl aber ist ein
wesentlicher Faktor bei destruktiven Verhaltensweisen. Der Zusammenhang
zwischen Väterentbehrung und (selbst-)zerstörerischem Verhalten ist
mittlerweile gut belegt.
Gunnar Hinck hat in seinem Buch über die
westdeutsche Linke der 1970er Jahre*** dargelegt, wie sehr das Muster des
Muttersöhnchens bei Linksextremisten dominierte: „Aus innerfamiliären
Dreiecksbeziehungen nach dem Typus Mutter – Vater – Kind wurden millionenfach
enge, schicksalhafte Zweierbeziehungen zwischen Mutter und Kind mit der Neigung
zu neurotischen Übersteigerungen.“ (S. 98) Die Mütter dieser Kinder waren nach
Hinck auf der einen Seite bedingungslos tolerant und fanden alles gut, was der
Sohn tat, hatten jedoch zugleich unerfüllbare Erwartungen und einen starken Leistungsanspruch
an den Ersatzernährer: Ihr Sohn sollte immer und überall der Beste sein (S.
102). Die Jungen wiederum empfanden den abwesenden Elternteil als narzisstische
Kränkung und waren voller Wut, weil sie sich von ihm im Stich gelassen fühlten.
Diese Wut wurde später auf Ersatz-Autoritäten gerichtet, mit denen symbolisch
der Vater vernichtet werden konnte (S. 135-136).
Es wäre eine eigene Untersuchung wert
herauszufinden, inwieweit die Männerverachtung im 19. Jahrhundert zusammen mit
der berufsbedingten Abwesenheit der Väter eine Spirale in Gang gesetzt und zur
Folge hatte, dass der in den Weltkriegen gefallenen Väter nicht mehr mit
derselben liebevollen Achtung gedacht wurde wie nach früheren Kriegen, wodurch
noch mehr Kinder ohne Vater aufwuchsen, die Männern feindselig gegenüberstanden
und deshalb nach 1945 dazu beitrugen, dass Scheidungsväter von ihren Kindern
ferngehalten wurden und der Kult um die alleinerziehende Mutter begann, wodurch
noch mehr Kinder ohne männliches Vorbild in einem Klima der Männerdämonisierung
aufwuchsen …
Zusammen mit dem modernen Wohlfahrtsstaat, der sich
nach Kucklick parallel zum Feminismus formiert hat und angesichts der
angeblichen Minderwertigkeit der Männer zum Ersatzvater / Ersatzehemann
mutierte (Seite 329-330), ist dies eine Entwicklung, die die Grundlage unseres
Zusammenlebens zerstört und in großem Stil unglückliche Menschen produziert.
* Das
unmoralische Geschlecht. Zur Geburt der Negativen Andrologie (Suhrkamp, Frankfurt
am Main 2008)
**
zitiert nach: Warren Farrell: Mythos Männermacht (Zweitausendeins, Frankfurt am
Main 1995, Seite 150)
***
Gunnar Hinck: Wir waren wie Maschinen (Rotbuch Verlag, Berlin 2012)
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Gunnar