Im Aquarium

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Samstag, 23. Januar 2021

Buchtipp: Wie ich meine Zeitung verlor

Viele Bücher sind über den Niedergang des Journalismus geschrieben worden, meist von außen. Und wenn doch von innen, wie etwa das Buch über Claas Relotius von Juan Moreno, dann wird darin mehr entschuldigt als entlarvt. Deswegen ist Wie ich meine Zeitung verlor von Birk Meinhardt, einem ehemaligen Journalisten der Süddeutschen Zeitung, ein wichtiges Buch.

 

Anpassung vollzieht sich meist still und schleichend. Meinhardt, der in der DDR Sportjournalist war, weiß das, weil er es selbst erlebt hat: „Zur Wende wusste ich, was ich niemals mehr wollte, nämlich mich noch einmal in einen solchen Zwiespalt begeben; die Wende war eine riesige Chance, ein Anlass, darüber nachzudenken, wo ich selbst zu nachgiebig und zu schwachherzig gewesen war“ (S. 22). Vielleicht braucht man so einen persönlichen Moment des Erschreckens über sich selbst, um wachgerüttelt zu werden und sich gegen Anpassung zu wappnen. Ich habe ihn auch einmal erlebt, diesen Moment, der einen dazu bringt, künftig wachsamer und selbstkritischer zu sein.

 

Meinhardt jedenfalls, der nicht vergessen hat, wie ein Meinungskartell aussieht, beschreibt von Seite zu Seite immer eindringlicher, wie der deutsche Journalismus im Laufe der Jahre zum Gesinnungsjournalismus verkam.

 

Er lässt uns daran teilhaben, mit welch differenzierten (und im Buch abgedruckten) Reportagen er in „seiner“ Zeitung scheitert, Reportagen, die nicht dem gängigen Narrativ folgen, sondern Vorgänge benennen, die anderswo totgeschwiegen werden, etwa über Unschuldige, die als rechtsextreme Gewalttäter gebrandmarkt und verurteilt wurden, oder über die Willfährigkeit, mit der die deutsche Regierung die USA in Ramstein beim Dirigieren von Killerdrohnen gewähren lässt.

 

Nebenbei demontiert er den Mythos vom sogenannten „Haltungsjournalismus“, wenn er verdeutlicht, dass Haltung etwas „Selbstdurchdachtes und Selbsterarbeitetes“ ist, etwas „unter Mühen Erworbenes“, kurz: etwas „Eigenständiges“ und nicht dieses uniforme Gleichmaß, das sich heute hinter diesem Wort verbirgt (S. 88).

 

Eindrücklich beschreibt er die Schere im Kopf, die entsteht, wenn man nicht mehr unvoreingenommen vor einem leeren Blatt Papier oder einem leeren Bildschirm sitzt, sondern sich bei jeder Zeile fragen muss: „Ob sie das jetzt wohl bekritteln werden? oder das?“ (S. 97).

 

Und allein für seine Erwiderung auf die allzu oft gehörte Ausrede, dieses oder jenes könne man nicht wahrheitsgemäß schildern, weil es den Rechten in die Hände spiele, schätze ich den Autor: „Heute wiederhole ich (...), dass die Neonazis doch nicht vom Benennen irgendwelcher Zustände profitieren, sondern immer nur von deren Verschweigen“ (S. 69).

 

 

 

Birk Meinhardt: Wie ich meine Zeitung verlor (Das Neue Berlin, 2020)

Siehe auch:

http://archive.is/Iuist

 

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Gunnar