Die
Suffragetten
Die Suffragetten waren
keinesfalls die edlen Streiterinnen für Gerechtigkeit, die mit Mitteln des
gewaltlosen Widerstands für das Frauenwahlrecht kämpften, wie sie gern dargestellt
werden. Zunächst einmal wollten viele von ihnen das Wahlrecht ausschließlich
für wohlhabende Frauen und keinesfalls für alle. Vor allem aber schreckten sie
nicht vor militanten Methoden zurück. Ähnlich den späteren Freikorps in der
Weimarer Republik oder der RAF in den Siebzigern glaubten sie, sich durchsetzen
zu können, indem sie die Regierung mit Gewalt zu drastischen Maßnahmen
herausforderten, um so zu „beweisen“, wie repressiv „das patriarchale System“
sei.
Sie zerstörten Bilder in
öffentlichen Galerien, schütteten Säure in Briefkästen, lieferten sich
Straßenschlachten mit der Polizei, versuchten einen Teil der Bank of England,
die Royal Academy und Gebäude einer Schule in die Luft zu sprengen und planten,
die Kinder von Winston Churchill zu kidnappen. Sie schickten Briefbomben an
bekannte Mitglieder der Gesellschaft – eine davon verletzte die Hand eines
Postbeamten –, verübten einen Bombenanschlag auf das Landhaus des
Schatzkanzlers, steckten Kirchen in Brand und fackelten einen Bahnhof ab, indem
sie eine Bombe aus Schwefelsäure und Sprengstoff in der Post versteckten, zündeten
ein Landhaus an, in dem Bedienstete schliefen, die gerade noch rechtzeitig das
Feuer entdeckten und sich vor dem Flammentod in Sicherheit bringen konnten, und
steckten aller Wahrscheinlichkeit nach (es konnte nicht bewiesen werden) die
Werft von Portsmouth in Brand, was zwei Männer das Leben kostete
Die Suffragetten waren
gewissenlose, selbstgerechte Terroristinnen, die bedenkenlos über Leichen
gingen, bewusst einen Krieg der Geschlechter anzettelten und alles Männliche
dämonisierten, ein Prinzip, das sie nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges
erfolgreich auf „die deutschen Barbaren“ übertrugen.
Exkurs: Der Orden von der Weißen Feder
Im August 1914 wurde der Orden von der
Weißen Feder gegründet, der Frauen aufforderte, weiße Federn als Zeichen der
Feigheit an junge Männer zu verteilen, die der Britischen Armee noch nicht
beigetreten waren. Dieselbe Taktik wurde übrigens auch in Russland und den USA
angewandt. Sie bestand darin, Männer in aller Öffentlichkeit zu beschämen,
damit sie schließlich in den Krieg zogen.
Von dieser Möglichkeit machten Frauen
reichlich Gebrauch. So reichlich, dass zahllose tragische Schicksale die Folge
waren. Eine Kleinanzeige in der Times vom 8.7.1915 verdeutlich es: Jack FG. Wenn du nicht bis zum 20. in
Uniform bist, dann existierst du für mich nicht mehr. Ethel M. Dass dies
kein Einzelfall war, belegt der Film Der
General von Buster Keaton, dessen Geschichte auf eben dieser Prämisse
beruht. Manche Frauen sahen im Übrigen im Orden der Weißen Feder eine bequeme
Möglichkeit, sich ganz nebenbei ihres ehemaligen Geliebten zu entledigen.
Auch Suffragetten wie Emmeline und
Christabel Pankhurst unterstützten den Orden nach Kräften: Frauen haben das Recht, Männer zu fragen: „Wirst du dein Vaterland
verteidigen und dein Versprechen gegenüber Frauen einlösen?“ Männer haben
Frauen versprochen, (...) sie vor allen Gefahren und Schwierigkeiten des Lebens
zu beschützen. (...) Das Mindeste, was Männer tun können, ist, dass jeder Mann
im kriegsfähigen Alter sich darauf vorbereitet, (...) die Mütter, Ehefrauen und
Töchter Großbritanniens zu retten.
Das
Wahlrecht in Deutschland
Um einen komplexen Sachverhalt auf eine
einfache Formel zu bringen: Als Napoleon 1806 Preußen besiegte und nach den
Schlachten bei Jena und Auerstedt in Berlin einmarschierte, wurden die
Schwächen des politisch-militärischen Systems in Deutschland offenbar: Ein
unterdrücktes Volk hat keinen Grund, für seine Unterdrücker einen Finger zu
rühren. Um eine Nationalarmee aufzubauen, das Berufsheer durch ein Volksheer zu
ersetzen und die Bevölkerung dazu zu bringen, sich mit dem Staat zu identifizieren
und das Vaterland im Rahmen einer allgemeinen Wehrpflicht zu verteidigen, war
es daher unabdingbar, denjenigen, die ihre Haut zu Markte tragen sollten,
politische Grundrechte zu gewähren.
Dass auch die Öffentlichkeit einen Zusammenhang zwischen
Wehrpflicht und Wahlrecht sieht, der von Feministinnen gern geleugnet wird(1),
lässt sich nicht nur dadurch belegen, dass spätere Befürworter der Absenkung
des Wahlalters dies häufig mit der Wehrpflicht der betreffenden Jahrgänge
begründeten(2), sondern auch durch nachstehendes Foto, in dem Mitbestimmungsrechte
für Frauen gefordert werden, weil deren Söhne (!) Kriegsdienste leisten müssen.
Manche Frauenrechtlerinnen argumentierten,
Frauen würden ebenfalls staatsbürgerliche Dienste verrichten, nämlich durch
ihre Mutterschaft. Ein solches Argument verkennt allerdings, dass Männer mit
der Versorgung der Familie eine vergleichbare Leistung erbracht haben.
Zusätzlich zur Wehrpflicht.
Zurück zur Geschichte. Deutschland im
Vormärz bestand aus lauter Kleinstaaten. Auf dem Wiener Kongress wurde 1815 der
Deutsche Bund gegründet, ein lockerer Staatenbund unter Führung Preußens und
Österreichs, der eine Zeit der Restauration einläutete und ein allgemeines
Wahlrecht verhinderte. Zwar sahen die Verfassungen einiger süddeutscher Staaten
innerhalb des Bundes zu der Zeit bereits ein Wahlrecht für Männer vor, das jedoch
an eine bestimmte Steuerleistung gekoppelt war, weshalb nur etwa fünf bis sechs
Prozent der Männer wählen durften.
Im Zuge der Revolution von 1848 fanden
Wahlen zur Nationalversammlung nach dem allgemeinen und gleichen
Männerwahlrecht statt. Die neue Verfassung trat aber nicht in Kraft, da inzwischen
die Gegenrevolution gesiegt hatte.
In Preußen wurde 1849 das Dreiklassenwahlrecht
eingeführt, in dem Bürger mit hohem Steueraufkommen (Großgrundbesitzer, Adlige)
genauso viele Stimmen besaßen wie Bürger mit mittlerem Steueraufkommen (Kaufleute)
und die übrigen 83 Prozent der Wähler.
1866 wurde der Norddeutsche Bund unter
Führung von Preußen gegründet. Dort galt ein allgemeines, gleiches, direktes
und geheimes Männerwahlrecht, das jedoch kaum etwas bedeutete, weil die Rechte
des Parlaments eng begrenzt blieben.
Mit der nationalen Einigung, der
Reichgründung 1871, trat das allgemeine Wahlrecht für Männer, die mindestens 25
Jahre alt waren, in Kraft. Zu der Zeit waren über 34 Prozent der Bevölkerung
jünger als 15 Jahre. Außerdem waren alle Personen, die eine Armenunterstützung
erhielten, von den Wahlen ausgeschlossen, wodurch je nach Region und Behördenwillkür
zwischen 0,5 Prozent und 21,7 Prozent der Wähler keine Stimme bekamen, darüber
hinaus Militärangehörige und alle, die unter Vormundschaft oder in Konkurs standen.
Ein großer Teil der männlichen Bevölkerung durfte somit nach wie vor nicht
wählen.
Der Reichstag, der aus diesen Wahlen
hervorging, hatte zudem nur wenig Macht, die sich im Wesentlichen auf die
Gesetzgebung beschränkte. Seine Rechtsbefugnisse entsprachen einem
aufschiebenden Vetorecht. Insgesamt blieb das Reich ein Obrigkeitsstaat, in dem
die Wähler keinen entscheidenden Einfluss auf die politische Willensbildung
ausübten, ganz abgesehen von den massiven Manipulationen und Einschüchterungsversuchen
der herrschenden Klasse, um das Wahlverhalten zu beeinflussen.
Zusammenfassend kann man also sagen: 1.)
Männer sollten das Wahlrecht als Gegenleistung für die allgemeine Wehrpflicht
bekommen. 2.) Es wurde den meisten von ihnen aber mehr als hundert Jahre lang
vorenthalten. Ein großer Teil der Männer bekam das Wahlrecht zur gleichen Zeit
wie die Frauen gewährt. Das war in anderen Ländern übrigens nicht anders. In
Großbritannien beispielsweise erlangten 1918 nicht nur acht Millionen Frauen,
sondern auch fünf Millionen Männer zum ersten Mal das Wahlrecht. 3.) Dort, wo
einige, vor allem vermögende Männer bereits früher wählen durften, hatte dies
nur geringe praktische Auswirkungen und wurde von Seiten der Obrigkeit nach
Kräften behindert. 4.) Die Einführung des Frauenwahlrechts war daher nicht die
Abschaffung einer Ungerechtigkeit, die tapfere Frauen gegen den Widerstand
unterdrückender Männer erkämpft haben. Zumal sie sich dabei der Unterstützung
durch Männer wie John Stuart Mill oder August Bebel sicher sein konnten. 5.) Im
Gegensatz zu Männern bekamen Frauen das Wahlrecht ohne Gegenleistung.
Das
Grundgesetz
Nach der Zäsur durch die Nationalsozialisten
ging man in Deutschland daran, eine neue, bessere Republik aufzubauen.
Gerechtigkeit war das Ziel, und das beinhaltete auch Gleichberechtigung der
Geschlechter.
Im Ausschuss für Grundsatzfragen wurde am
30.11.1948 beschlossen, den Artikel 3, Absatz 1 wie folgt lauten zu lassen: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das
Gesetz muss Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart
behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden.
Verschiedenes nach seiner Eigenart – und zwar, weil man beispielsweise „einen
Schutz der Mutterschaft nicht für Männer einführen“ könne und weil diverse
Pflichten wie etwa die Dienstverpflichtung zu Wasserwehr, Feuerwehrmannschaften
und Polizeihilfsdienst „nicht auch den Frauen auferlegt werden“ sollten.
Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes
(ursprünglich Artikel 19) sollte lauten: Männer
und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Der
Satz war aus der Weimarer Verfassung (Artikel 109) übernommen und das dort
einschränkende „grundsätzlich“ bereits gestrichen worden. Es folgte Absatz 3: Niemand darf wegen seines Geschlechtes (...)
benachteiligt oder bevorzugt werden.
Am 1.12.1948 brachte die SPD die
Formulierung Männer und Frauen sind
gleichberechtigt in den Ausschuss ein. Im Hauptausschuss am 3.12.1948 (1.
Lesung) rechtfertigte Elisabeth Selbert (SPD) den Antrag, indem sie darauf
hinwies, dass mit dem Wort „staatsbürgerlich“ nicht zwangsläufig auch die
bürgerlichen Rechte (also beispielsweise das Ehe- und Familienrecht) erfasst
seien.
Dieses Problem hätte man mit Leichtigkeit
dadurch aus der Welt schaffen können, dass man das kritische Wort einfach
wegließ: Männer und Frauen haben die gleichen
Rechte und Pflichten. Zumal ja darauf folgte: Niemand darf wegen seines Geschlechtes (...) benachteiligt oder
bevorzugt werden.
Alternativ dazu brachte die CDU am 18.1.1949
(2. Lesung) ebenfalls einen vernünftigen Vorschlag ein: Männer und Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten. Die Gesetzgebung
hat dies auf allen Rechtsgebieten zu verwirklichen.
Angenommen wurde jedoch am Ende – und zwar
einstimmig – der Vorschlag der SPD, der den Frauen gleiche Rechte gab, aber
keine gleichen Pflichten von ihnen verlangte. Das war durchaus kein Versehen.
Der Ausschuss war sich darüber im Klaren, dass Frauen zwar an manchen Stellen
benachteiligt, an anderen jedoch bevorzugt behandelt wurden.
Hermann von Mangoldt (CDU) gab
beispielsweise in der Sitzung vom 1.12.1948 zu, „dass die Frau im Grunde
genommen nach unseren Gewerbeschutzbestimmungen teilweise erleichterte
Arbeitsbedingungen hat und einen gewissen Schutz genießt“. Daran wollte jedoch
niemand rütteln: „Es scheint mir selbstverständlich, dass die Formulierung
‚Männer und Frauen sind gleichberechtigt’ nicht etwa dazu führen könnte,
Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts oder des Sozialrechts zu tangieren, die
zugunsten der Frau geschaffen worden sind.“ (Carlo Schmid, SPD, 3.12.1948).
Theophil Kaufmann (CDU) in derselben
Sitzung: „Es gibt umgekehrt eine ganze Anzahl von Bestimmungen, die unmöglich
auf den Mann angewendet werden können, die vielmehr Sonderschutzbestimmungen im
Interesse der Frau, auf Grund ihrer Besonderheiten und ihrer besonderen
Aufgaben, sind.“ Heinz Renner (KPD), ebenfalls in dieser Sitzung: „Niemand kann
doch wohl unterstellen, dass dem das Wort geredet wird, die wenigen
Sonderrechte sozialer Natur (...), die der Frau aufgrund ihrer körperlichen
Konstitution eingeräumt sind, anzutasten.“
Und Helene Weber (CDU) am 18.1.1949: „Dabei
denken wir durchaus auch an den Eigenwert und die Würde der Frau und denken
nicht an eine schematische Gleichstellung und Gleichberechtigung, wie mir
neulich entgegengehalten wurde, als man mich fragte, ob man darunter versteht,
dass die Frau vielleicht Kriegsdienste leisten soll. Nein, sagte ich, die soll
sie ebenso wenig leisten, wie wir vom Mann etwas erwarten, was dem Eigenwert der
Frau allein entspricht.“ Und: „Wir sind sogar der Meinung, dass auf gewissen
Gebieten die Frau Vorrechte besitzen muss, wie zum Beispiel beim Mutterschutz
und auf verschiedenen Gebieten der Sozialpolitik.“
Schließlich noch Theodor Heuss (FDP) in
derselben Sitzung: „Wir sind der Meinung, dass der kommende Gesetzgeber eine
sehr diffizile Aufgabe haben wird, damit diese Gleichberechtigung nicht
irgendwie zum Nachteil der Frau interpretiert werden kann, dass wir in der
sittlichen und der sachlichen Motivierung des Gedankenganges ganz klar sein
müssen, dass wir aber bei diesen Geschichten der Unterhaltspflicht, und ich
weiß nicht, was da noch hereinspielt, nicht schließlich einem Formalismus
verfallen dürfen, bei dem die Frau nachher das Nachsehen hat.“
An einer Stelle geriet die Debatte in der
Person von Walter Strauß (CDU) gar zur Liebedienerei gegenüber den Frauen:
„Gerade die vergangenen Jahre haben wohl jedem Mann einschließlich der
Junggesellen vor Augen geführt, dass die Aufgaben der Frau fast sogar noch schwerer
– auch physisch schwerer – sind als die des Mannes.“
Zusammenfassend kann man also zur Stimmung
in den Ausschüssen sagen, dass ein durchgängiges Bewusstsein dafür herrschte,
dass Frauen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt sein sollten, zugleich
aber wollten weder die Männer noch die Frauen von der Vorstellung lassen,
Frauen seien etwas Besonderes, besonders Schützens- und Verehrenswertes.
Auf die Idee, über mögliche
Benachteiligungen von Männern nachzudenken, kam der Ausschuss selbstredend
nicht, es ging immer nur um die Frauen: „Was wir wollen, ist vielmehr, dass
Frauen nicht benachteiligt werden dürfen, wie es lange Zeit der Fall war.“
(Ludwig Bergsträsser, SPD, 30.11.1948) Diese Einstellung zog sich durch
sämtliche Fraktionen, weshalb die Versuche heutiger Feministinnen, die
Ausschüsse als patriarchale Interessenvertretung männlicher Privilegien zu
denunzieren, absurd ist.
Helene Weber machte immerhin in der 2.
Lesung deutlich: „Wir wollen also die Gleichberechtigung der Frau, auch die der
Pflichten, die damit verbunden sind.“ Woraufhin ihr Elisabeth Selbert
entgegenhielt, sie sei gegen die ausdrückliche Erwähnung der Pflichten. Zum
einen verwies sie auf eine mögliche Einbeziehung im Kriegsfall: „Wir haben es
in der Vergangenheit erlebt, dass Leben und Schicksal vor der Frau auch dann
nicht Halt gemacht hat, wenn die größten Anforderungen an ihre
Körperkonstitution gestellt wurden, sei es hinter dem Flak-Scheinwerfer oder
hinter dem Geschütz oder im Bombenhagel oder sonst wo.“ Zum anderen befürchtete
sie, dass auch die Frau zur Unterhaltspflicht in der Familie herangezogen
werden könnte. Die Arbeit der Hausfrau und Mutter müsse der Berufstätigkeit
gleichgestellt sein, und dass andererseits eine berufstätige Frau aus ihrem Einkommen
Beiträge zum Unterhalt leiste, „ergibt sich von selbst“.
Wie gelang es Elisabeth Selbert, die alle
Hebel in Bewegung setzen wollte, „damit das so durchkommt, so wie ich das
will“, dem Ausschuss eine Formulierung aufzudrücken, die den Frauen sämtliche
Rechte zuschanzte und sie gleichzeitig von den Pflichten befreite?
In der 1. Lesung im Hauptausschuss sprach
sie eine Drohung aus, die angesichts der im 2. Weltkrieg getöteten Männer an
Zynismus kaum zu überbieten war: „Sollte der Artikel in dieser Fassung heute
wieder abgelehnt werden, so darf ich Ihnen sagen, dass in der gesamten
Öffentlichkeit die maßgeblichen Frauen wahrscheinlich dazu Stellung nehmen
werden, und zwar derart, dass unter Umständen die Annahme der Verfassung gefährdet
ist. (...) Alle ‚Aber’ sollten hier ausgeschaltet sein, da mit den Stimmen der
Frauen als Wählerinnen als denjenigen Faktoren gerechnet werden muss, die für
die Annahme der Verfassung ausschlaggebend sind, nachdem wir in Deutschland
einen Frauenüberschuss von sieben Millionen haben und wir auf hundert männliche
Wähler hundertsiebzig weibliche Wähler rechnen.“
Diese Drohung hat sie anschließend
umgesetzt, indem sie mit Hilfe ihrer Mitstreiterinnen, einer mobilisierten
Öffentlichkeit und der Presse für einen entsprechenden Druck auf den Ausschuss
sorgte.
In der 2. Lesung behauptete sie dann allen
Ernstes: „Wir haben den Sturm, der draußen in der Öffentlichkeit durch die
Abstimmung bei der ersten Lesung dieses Artikels im Hauptausschuss ausgelöst
wurde, nicht verursacht.“ An dieser Stelle sollte man vielleicht erwähnen, dass
die Sitzungen des Hauptausschusses presse-öffentlich waren.
Das Ehe- und Familienrecht
Mit der Festlegung der Gleichberechtigung im
Grundgesetz war das Bürgerliche Gesetzbuch verfassungswidrig geworden. Deshalb
hatte sich der Ausschuss auf die Übergangsregelung geeinigt, dass das alte Ehe-
und Familienrecht bis zu seiner Reform, die spätestens am 31.3.1953 erfolgen
sollte, bestehen blieb.
Tatsächlich verzögerte sich die Umsetzung um
einige Jahre bis zum Gleichberechtigungsgesetz vom 18.6.1957, das am 1.7.1958
in Kraft trat. Dass die Reformen allerdings von Männern, die ihre Pfründe
sichern wollten, verschleppt wurden, wie Feministinnen nicht müde werden zu
behaupten, ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Zum einem war der
Rechtsausschuss mit Arbeit überhäuft (Außenpolitische Verträge, Beendigung des
Besatzungsstatus’, NATO-Mitgliedschaft etc.). Zum anderen aber hatten es die
Befürworter der Reformen ebenfalls nicht eilig, weil sie zu Recht darauf
hofften, dass ihnen die in der Zwischenzeit ergehenden Gerichtsurteile
reichlich Munition für ihre Argumente liefern würden.(3)
Das Ehe- und Familienrecht im Bürgerlichen
Gesetzbuch war zweifellos reformbedürftig. Wer jedoch behauptet, es handelte
sich dabei um eine in Gesetze gegossene Unterdrückung der Frauen durch „das
Patriarchat“, hat sich offensichtlich Blindheit auf dem zweiten Auge verordnet.
Dem Ehe- und Familienrecht lag ein veraltetes Rollenmodell zugrunde, dessen
Aufgabenteilung sich in Jahrhunderten schwieriger Überlebensbedingungen bewährt
hatte, um den Preis, dass sowohl Frauen als auch Männer in das Korsett einengender
Rollenzuschreibungen gezwängt wurden. Die Frau war auf die Rolle der Hausfrau
festgelegt, der Mann hatte die gesetzliche Verpflichtung, die Familie zu
schützen und zu ernähren.
Wenn nun Feministinnen beklagen, dass jene
Gesetze, die Frauen einengten, erst spät abgeschafft wurden – das
Familienoberhaupt 1959, die beschränkte Geschäftsfähigkeit gar erst 1977 –,
dann wollen sie offenbar nicht wahrhaben, dass umgekehrt auch die männliche
Versorgungspflicht, die vom Mann erwartete, seine Ehefrau finanziell zu unterhalten,
selbst wenn sie vermögend oder berufstätig war, ebenfalls bis 1977 in Kraft
blieb. Und dass es zwar im Artikel 6, Absatz 4 des Grundgesetzes heißt: Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und
die Fürsorge der Gemeinschaft, vom Schutz der Väter jedoch bis heute nicht
die Rede ist. Und dass bei den Beratungen 1956 über die Grundgesetzänderung für
die Wehrpflicht (Artikel 12a) alle Beteiligten deutlich machten, dass es keine
Dienstverpflichtung an der Waffe für Frauen gebe. Ganz zu schweigen von der
Rechtlosigkeit von Männern gegenüber ihren Kindern, die mangelnde
Rechtssicherheit von Kuckucksvätern, die 1977 veränderten Scheidungsgesetze,
die Männer praktisch zur Ausplünderung freigaben, etc.
Schluss
An dieser Stelle sollten Sie sich zwei
Fragen stellen:
Stimmt das, was Sie hier gelesen haben und
dessen Wahrheitsgehalt sie anhand der Verlinkungen im Text und der
nachstehenden Quellenangaben selbst überprüfen können, überein mit dem, was uns
offizielle Verlautbarungen weismachen wollen und unsere Kinder in der Schule
beigebracht bekommen?
Falls nein: Von wem wird Ihrer Erfahrung
nach stets die offizielle Geschichte geschrieben – von armen, vom Patriarchat
unterdrückten Opfern oder von Siegern?
Quellen:
Das
Wahlrecht in Deutschland:
Gordon A.
Craig: Die preußisch-deutsche Armee 1640 – 1945 (Düsseldorf 1960, S. 40, 56-60,
66-68, 89-92)
Eckardt
Opitz / Frank S. Rödiger: Allgemeine Wehrpflicht. Geschichte – Probleme –
Perspektiven (Bremen 1994, S. 11-12, 29, 31-37)
Reinhard
Rürup: Deutschland im 19. Jahrhundert, 1815 – 1871 (Göttingen 1992, Seite 210,
223)
Katalog des
Deutschen Bundestages: Wege, Irrwege, Umwege. Die Entwicklung der parlamentarischen
Demokratie in Deutschland (Berlin 2002, Seite 17, 19-20, 86)
Duden:
Abiwissen Geschichte (Mannheim 2011, Seite 57-58, 66, 69)
Georg
Bemmerlein, Walter Göbel: Abiturwissen Geschichte (Stuttgart 2013, Seite 19-20,
90-91)
Robert
Arsenschek: Der Kampf um die Wahlfreiheit im Kaiserreich (Düsseldorf 2001,
Seite 293-295)
(1) z.B. von Ute Frevert, die so tut, als wäre dies
eine nachträglich erfundene Ausrede, um Frauen das Wahlrecht zu verweigern
(„Mann und Weib und Weib und Mann“, München 1995, Seite 119-120)
(2) Jan Timmer: Altersgrenzen
politischer Partizipation in antiken Gesellschaften (Berlin 2008, Seite 7-8)
Das
Grundgesetz:
Deutscher Bundestag & Bundesarchiv:
Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, Band 5 (2 Bände):
Ausschuss für Grundsatzfragen (München 1993, Seite 643, 738-754, 779) und Band
14 (2 Bände): Hauptausschuss (München 2009, Seite XXI, 510-517, 1309-1323). Spannend!!
Marianne Feuersenger: Die garantierte
Gleichberechtigung (Freiburg im Breisgau 1980, Seite 20-48)
Christian Bommarius: Das Grundgesetz.
Eine Biographie (Berlin 2009, S. 179-184)
Das
Ehe- und Familienrecht:
(3) Marianne Feuersenger: Die garantierte
Gleichberechtigung (Freiburg im Breisgau 1980, Seite 104, 105)
Danke, danke und nochmals DANKE!
AntwortenLöschenGern geschehen.
AntwortenLöschen:-)
Auch von mir vielen, vielen Dank. Deine Arbeit ist unschätzbar wertvoll.
AntwortenLöschenWas noch anzumerken wäre, ist dass die Nachkriegsfrauen nicht die SPD sondern die CDU an die Macht wählten - die Partei mit dem traditionellen Rollenbild. Die Frauen wollten wieder zurück in die Küche...
Klasse Artikel, Dankeschön!
AntwortenLöschenAn sich müsste man noch genau so einen Artikel für die DDR schreiben, weil da die Entwicklung auf ihre Weise ebenso hochinteressant war, am Ende aber der Vergleich des tatsächlich Erreichten möglich ist. Aber die Arbeit, die das macht... ;-)
Stimmt, das wäre interessant!
AntwortenLöschenHallo Herr Kunz,
AntwortenLöschenvielen Dank für diese eindrucksvolle Geschichtsstunde. Ich finde diese Beiträge unglaublich wertvoll.
Gute Arbeit, Gunnar, danke. Da mithätte Guido Knopp jetzt aber einiges aufzuarbeiten, in seinem "ZDF-History".
AntwortenLöschen:-D
AntwortenLöschenMir gefällt der Artikel auch sehr, aber an einer Stelle hab ich ein problem. Und zwar führt deine story bis zur ersten wahl 1871, aber das wahlrecht fur frauen wurde doch erst 1918 eingeführt...was war dazwischen? Oder war das die zeit, in der die Sachen aus der Einleitung, der terror der suffragetten, etc passierte?
AntwortenLöschenAusserdem seh ich es als Diskrepanz an, dass du das allgeneine, also auch frauen-WR, ab 1871 gegeben ansiehst, obwohl es doch auf 1918 datiert ist.
Ist das unerheblich weil ich einen denkfehler habe, oder weil es keine Entwicklung gab in dieser zeit? Das wäre ja genau, was die femis bestreiten... deren Geschichten zufolge ging ja in den "Jahrzehnten vor der Einführung" der kampf grad richtig ab...
Kannst du mir dazu vielleicht was sagen?
Besten dank schonmal...
Hallo Matthias,
AntwortenLöschenwenn du noch mal genau liest, wirst du feststellen, dass ich keineswegs geschrieben habe, es hätte das Allgemeine Wahlrecht bereits 1871 gegeben, sondern nur
"das allgemeine Wahlrecht für Männer, die mindestens 25 Jahre alt waren".