Im Aquarium

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Mittwoch, 9. Februar 2022

Frauenfantasien

 

Das Männerideal vieler Frauen entlarvt oft klarer als alle Studien deren Machtanspruch und mangelnde Empathie, und zwar zu allen Zeiten.

 

 

Unter dem Titel Wie stellen Sie sich Ihren Zukünftigen vor? brachte die Berliner Morgenpost vom 26. April 1925 einen Artikel, zwar von einem Mann geschrieben und von daher durch eine männliche Brille gefiltert, jedoch auf der Basis von Gesprächen mit Frauen und insofern die Sichtweise der Frauen wiedergebend.

 

Manche Aussagen sind natürlich der damaligen Zeit geschuldet, etwa hinsichtlich der Rollenverteilung, wenngleich auch die Erwartungen darüber maßlos ausfallen („Seine Pflicht ist es, für die Zeitung, die Kinos, Theater, Freunde, Feste, Bälle zu sorgen, die Kasse zu verwalten, den Verkehr mit der Behörde, mit dem Wirt und dem Pförtner zu regeln.“).

 

Ebenso klar ist, dass auch viele Männer unrealistische Träume, Wünsche, Vorstellungen ihrer Traumfrauen haben, allerdings wohl eher selten in einem vergleichbaren Ausmaß, mit der manche Frauen jede Sekunde des Traumpartners verplanen möchten („Ausgang allwöchentlich höchstens einmal, und auch dann nur zu einem Herrenabend mit genauer Angabe des Ziels sowie des Endtermins.“).

 

Auch die Selbstverständlichkeit, mit der viele Frauen Gegensätzliches von ihrem künftigen Partner erwarten, die er zudem per Gedankenlesen erraten soll, dürfte umgekehrt eher selten sein: „Im Dienst muss er zwar Führer, unerbittlich, rastlos, ideenreich, vorbildlich sein. (...) Daheim (...) hat er Ja-Sager, Schmeichler zu sein.“ Oder, noch schöner: Er müsse jemand sein, „der nach einer Viertelstunde des Wartens kein Wort des Vorwurfs aufbringt, nach einer halben Stunde fortgeht, weil er sonst ein Hanswurst ist“.

 

Darüber hinaus geht so manche Frau davon aus, dass sich der Mann willig von ihr manipulieren lässt: „Alle anderen Fehler nehme ich gerne mit in den Kauf. Nach zwei Jahren hat er sie nicht mehr.“

 


Dass diese Selbstbezogenheit kein Charakteristikum von gestern ist, beweisen die Fantasien zahlloser von Frauen geschriebener Romane. Ein besonders unappetitliches Beispiel, dessen Autorin offenbar nicht mal auf den Gedanken kommt, Männer könnten eigene Wünsche und Gefühle oder gar – Bewahre! – eine eigene Beziehung zu ihrem Kind haben, und die daher ganz selbstverständlich eine Männerfigur idealisiert, die sich gänzlich der Frau unterordnet, fiel mir neulich in die Hände.

 

Die Protagonistin des Romans spricht in der folgenden Textpassage über den Mann ihres Kindes: „Michael war großartig. Und ist es immer noch. Er ist weder ausgeflippt, noch hat er mir sofort angeboten, die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch zu übernehmen. Er hat sich mit mir hingesetzt und gesagt, dass er mich in allem unterstützen werde, egal, wie meine Entscheidung ausfalle. Und wenn ich die Schwangerschaft austragen würde, sagte er, dann werde seine Rolle im Leben des Kindes so groß oder so klein sein, wie ich es wünsche.“ (Lesley Karen: Das Gerücht, S. 24 (dtv 2020, Übersetzung: Britta Mümmler))

 

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Gunnar