Im Aquarium

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Mittwoch, 23. Februar 2022

Die Tyrannei der Empfindlichen

 

Immer mehr Menschen muten ihrem Gegenüber auf übergriffige Weise Sprachregelungen zu und fühlen sich ihnen dabei auch noch moralisch überlegen.

 

 

Aktuell sind es vor allem Menschen, die behaupten, es sei rassistisch, eine Person danach zu fragen, wo sie herkommt. Im Ernst? Wenn man jemandem auf einer Party zum ersten Mal begegnet und mit diesem Menschen ins Gespräch kommen möchte, sind die Themen nun mal begrenzt. Es wäre nicht sehr höflich, einen wildfremden Menschen danach zu fragen, welches Verhältnis er zu seinen Eltern hat oder wie der letzte Sex war. Für die erste Kontaktaufnahme bleiben daher hauptsächlich äußerliche Fragen: Was machst du beruflich? Wie hast du unsere Gastgeber kennengelernt? Oder eben, wenn man den Eindruck hat, der andere sei im Ursprung kein Deutscher: Woher kommst du? Die Frage würde ich im Übrigen auch einem Weißen stellen, wenn sein Akzent vermuten ließe, dass er aus einem anderen Land stammt.

 

Was in Wahrheit hinter dem Vorwurf des Rassismus steckt, ist die Verlagerung von Verantwortung. Zum einen soll der andere offenbar auf geheimnisvolle Weise erspüren, auf welche Themen man sensibel reagiert. Aber jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens Enttäuschungen und Verletzungen erfahren oder mit Problemen zu kämpfen, an die er nicht gern erinnert wird, wie kann man also von jemandem, der einen nicht kennt, erwarten, dass er vorauseilend ahnt, welche Themen tabu sind? Die Frage nach dem Beruf mag jemanden, der darunter leidet, dass er seit Jahren arbeitslos ist, quälen. Incels möchten vielleicht nicht über Partnerschaften sprechen, Obdachlose nicht gefragt werden, wo sie wohnen, trockene Alkoholiker keine Diskussionen über bevorzugte Bier- oder Weinsorten führen. Und wer seine Flugangst nicht überwinden kann, dem ist unter Umständen schon die Frage nach seinem Urlaub unangenehm. Wenn man die eigenen Bedürfnisse offen zur Sprache bringt, wird jeder achtsame Gesprächspartner dies respektieren. Wer hingegen vom Gegenüber erwartet, dass er einem die Wünsche von den Augen abliest, outet sich als verzogenes Gör.

 

Was sich auch darin zeigt, dass eine solche Person offenbar erwartet, dass die Gesellschaft ihre Probleme für sie löst. Das ist nicht nur kontraproduktiv hinsichtlich der Bewältigung dieser Probleme, sondern vor allem übergriffig. Niemand ist für die schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit seines Gegenübers verantwortlich, und wer andere Menschen in Sippenhaft nimmt, sollte vielleicht zunächst einmal seine eigenen Einstellungen hinterfragen. Wir reden ja nicht über herabsetzende Bemerkungen, deren Niedertracht nicht infrage steht, sondern über Fragen, die in bester Absicht gestellt werden. Wer mich einen Rassisten nennt, wenn ich mich freundlich und aus ehrlichem Interesse heraus nach jemandes Herkunft erkundige, ist selbst ein Rassist, der mich als Projektionsfläche für seine Vorurteile missbraucht.

 

Dann gibt es Menschen, die bestimmte Worte mit einem Tabu belegen wollen und stattdessen vom „N-Wort“ sprechen, vom „Z-Wort“, vom „B-Wort“. Wie gut, dass es nur 26 Buchstaben im Alphabet gibt, das erspart uns eine Inflation magischen Denkens! Oder fangen diese Leute irgendwann an, vom N2- und N3-Wort zu reden? Menschen, die wirklich Schreckliches erlebt haben, verlangen keine Sprachtabus, das tun nur solche, die sich in Szene setzen wollen. Wer aus dem KZ knapp mit dem Leben davongekommen ist oder dort Verwandte verloren hat, redet nicht vom „H-Wort“, im Gegenteil: der möchte, dass der Holocaust beim Namen genannt wird. Wichtigtuerisches Um-den-Brei-reden ist immer ein Zeichen, dass es in Wahrheit um etwas anderes als die betreffende Sache geht.

 

Des Weiteren gibt es Menschen wie Claudia Roth, die sich darüber beschwert, dass sie „als Frau reduziert werde“, wenn man sie fragt: „Warum hast du kein Kind?“ So etwas sollten sich ihrer Meinung nach Frauen „nicht mehr anhören müssen, weil es unendlich verletzt“. Tatsächlich? Männer müssen sich auch nach ihrem Beruf fragen lassen, selbst wenn es sie verletzt, von Frauen lediglich nach Erfolg oder Misserfolg bewertet zu werden. Alle möglichen Menschen werden gelegentlich in aller Unschuld mit Fragen konfrontiert, deren Beantwortung ihnen unangenehm ist. Nur Frau Roth möchte in Watte gepackt werden. Wie wäre es, wenn Frauen wie sie endlich mal erwachsen werden und Verantwortung für ihr Leben übernehmen, statt zu erwarten, dass die Gesellschaft ihnen sogar die Konfrontation mit den eigenen Problemen abnimmt?

 

Und schließlich gibt es Menschen, die verlangen, dass man für sie allerlei erfundene Geschlechtsbezeichnungen verwendet, weil es ihnen angeblich Qualen verursacht, als Mann oder Frau angesprochen zu werden. Wenn jemand mit seinem Geschlecht nicht klarkommt, ist das ein ernstes Problem, das ich nie kleinreden würde, denn es betrifft einen zentralen Punkt der eigenen Identität. Aber diese Nöte hängen nicht am Pronomen. Wer behauptet, es verursache ihm Qualen, als Mann oder Frau angeredet zu werden, geht den eigentlichen Problemen aus dem Weg und bürdet sie stattdessen seinem Gegenüber auf. Von Fremden zu verlangen, diese mögen einem in die eigene subjektive Welt folgen, deutet zudem auf eine narzisstische Persönlichkeit hin.

 

Bezeichnenderweise sind gerade diejenigen, die Hypersensibilität einfordern, anderen gegenüber mit grobschlächtigen Etikettierungen („rassistisch“, „sexistisch“, „transphob“, „rechts“, „Nazi“) schnell bei der Hand. Nicht zuletzt deshalb lehne ich die Tyrannei derer ab, die andere mit ihren Befindlichkeiten zu terrorisieren versuchen.

 

 

4 Kommentare:

  1. Bezeichnend beim ersten Beispiel ist auch, dass man so eine Harmlosigkeit wie eine Frage nach der Herkunft anführt und nicht echte Beschimpfungen z.B. als Nigger oder gewalttätige Übergriffe. Ich will nicht in Abrede stellen, dass es rechtsextreme Gewalt gibt, aber so groß scheint das Problem dann doch nicht zu sein.

    Und: Einen echten Rassisten interessiert die Herkunft genau Null. Der sieht die Hautfarbe und weiß alles, was er wissen muss.

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  2. Volle Zustimmung. Aber an einer Stelle etwas Kritik:
    mit „er“ oder „sie“ angesprochen

    Wie soll das gehen? Wie spricht man jemanden in der dritten Person an? Ist ansprechen im Sinne von "erwähnen" gemeint? Dann würde die gemeinte Person es in der Regel nicht mitbekommen.

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  3. Sebastian Wessels schreibt in einem Facebook-Posting: "Es ist narzisstische Kontrolle. Maurice lädt Menschen dazu ein, in eine Missbrauchsbeziehung mit ihm einzutreten."
    https://facebook.com/story.php?story_fbid=282837580574069&id=109551777902651

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Vielen Dank für deinen Kommentar. Sobald ich ihn gelesen und geprüft habe, schalte ich ihn frei.
Viele Grüße
Gunnar