Im Aquarium

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Samstag, 6. Februar 2021

Deutschland ist ein Obrigkeitsstaat

 

Seit jeher. Und wird es wohl immer bleiben.

 

 

Um das zu erkennen, muss man nicht Coronamaßnahmen als Beispiel heranführen. Oder das Gendern in den Medien. Oder Wolfgang Schäubles Satz, wenn der Bundespräsident dem Parlament die Ehre antue, an einer Debatte teilzunehmen, sei das nicht die Gelegenheit, ihn zu kritisieren. Man kann es an viel alltäglicheren Dingen sehen.

 

An der permanenten Gängelung etwa und dem Bestreben, der Bevölkerung nur so viel Luft zum Atmen zu lassen, wie gerade eben nötig. Beispielsweise beim Steuerverwaltungsprogramm Elster, das einem Steuerpflichtigen keinen Millimeter Freiraum lässt, um sich zu artikulieren, und ihm nach einer Fehlermeldung nicht die Möglichkeit gibt, erst mal den Rest des Formulars auszufüllen, um am Ende sämtliche Probleme gesammelt anzugehen, sondern ihn zwingt, dem vorgeschriebenen Weg zu folgen. Oder wenn man bei Behörden oder Firmen immer andere Ansprechpartner erhält und nie jemanden direkt ans Telefon bekommt. Oder bei den automatischen Ansagen der Telefonhotlines („Wenn Sie Informationen über neue Produkte wünschen, wählen Sie Taste 1“).

 

An der Art, wie Beamte, Hausmeister, Sprechstundenhilfen, eben jeder mit ein bisschen Macht dieses erbärmliche bisschen Macht nutzt, um von oben herab zu belehren und den anderen fühlen zu lassen, dass er von ihm abhängig ist.

 

An der Art, wie junge Menschen wieder Rattenfängern hinterherlaufen und jeden Schwachsinn der herrschenden Ideologie übernehmen, statt selbst zu denken und zu hinterfragen: dass Geschlechter konstruiert seien, dass es fünfundsechzig verschiedene Geschlechter gebe, dass es Rassismus sei, sich nach jemandes Herkunft zu erkundigen, dass es „kulturelle Aneignung“ sei, sich im Karneval als Indianer zu verkleiden, dass man weiße heterosexuelle Männer nicht diskriminieren könne.

 

An der Begeisterung der Deutschen, anderen Vorschriften zu machen: wie sie ihre Partnerschaft zu leben haben, was sie fühlen und denken und wie sie sprechen sollen.

 

Man könnte ja, wenn man unbedingt auf die Gesellschaft einwirken will, stattdessen auch positive Anreize schaffen und es anschließend den Bürgern überlassen, ob sie diese annehmen oder nicht. Aber das ist nicht die deutsche Art.

 

Zu der Zeit, als ich damals den Wehrdienst verweigert habe, gab es eine öffentliche Diskussion darüber, dass Wehrpflichtige gegenüber Zivildienstleistenden benachteiligt seien, weil Erstere in Kasernen leben müssten. Was ist die Lösung des deutschen Politikers angesichts einer Ungerechtigkeit? Nicht etwa, die Situation des Benachteiligten zu verbessern oder einen Ausgleich dafür zu schaffen. Sondern die Situation des Bessergestellten durch Schikanen wie etwa eine längere Zivildienstzeit zu verschlechtern.

 

Das Problem der deutschen Mentalität mit Freiheit war mir ebenfalls immer unbegreiflich. Während meiner Schulzeit wurde im Zuge von Schulreformen auch die Abschaffung von Noten diskutiert. Eine Lehrerin fragte uns Schüler mal, wie wir dazu stünden. Zu meiner nicht geringen Erschütterung haben die meisten meiner Klassenkameraden geantwortet, sie bräuchten Noten als Druck, um zu arbeiten. Ich wäre im Leben nicht auf den Gedanken gekommen, dass jemand Druck, Einschränkung, Gängelung anders als unerträglich finden könnte.

 

Fast mein gesamtes Berufsleben lang war ich Freiberufler und habe mir meine Strukturen selbst geschaffen. Das schließt ein, dass ich tue, was immer nötig ist, auch die unangenehmen Dinge, und anschließend für meine Fehler geradestehe. Wie erstaunt war ich während meiner Theaterzeit, als ich feststellen musste, dass andere sich immer erst bei ihren Vorgesetzten absichern, ehe sie einen Handschlag tun! Zum Obrigkeitsstaat gehört eben die Untertanenmentalität.

 

Ein gutes Beispiel für das obrigkeitsstaatliche Denken der sogenannten Elite sind die unsäglichen Äußerungen im vergangenen Jahr über „systemrelevante“ Berufe. Wenn es den Damen und Herren Politikern und Journalisten um die Menschen gegangen wäre, hätten sie von „lebensnotwendigen“ Berufen gesprochen oder meinetwegen auch bloß allgemein von „wichtigen“. Aber es geht ihnen eben nicht um die Menschen. Sondern bloß um den Erhalt des Systems. Den Obrigkeitsstaat.

 

4 Kommentare:

  1. Endlich weiss ich, was mich an dem Begriff "systemrelevant" immer so gestört hat. Danke dafür.

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  2. Vielen Dank für deinen Kommentar.

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  3. Der Text spricht mir aus der Seele. Daß "jeder mit ein bisschen Macht dieses erbärmliche bisschen Macht nutzt, um von oben herab zu belehren" ist mir schon als Kind und Schüler in den 70ern und 80ern aufgefallen und immer wieder sauer aufgestoßen. Ging man offen dagegen an, wurde man regelrecht zusammengefaltet oder gleich mit offener physischer Gewalt auf Linie gebracht. Insbesondere auch von denen, die selbst unter den Zurechtweisungsallüren anderer litten. Diese Erfahrungen haben mich sehr früh in Richtung eines Freiheitsbegriffs geleitet, der sich auf die Schaffung eigener Räume, unabhängig von "dem was andere denken", konzentriert und der mir bis heute eine wesentliche Stütze ist. Nur wer auch solo spielen kann, kann harmonisch im Ensemble spielen.

    Untertanenmentalität bedeutet u.a., sich bei Kritik an Mißständen selbst dann in seiner Lebensweise angegriffen zu fühlen, wenn diese gegen das eigene Wohl gerichtet ist. Wie im Text am Beispiel Militär/Zivildienst beschrieben: Nicht mir soll es besser gehen, sondern anderen genauso schlecht wie mir. Kein Wunder, daß Depressionen und Angstzustände in der Gesellschaft immer stärker zunehmen. Nicht nur bei uns, der gesamte industrialiserte Westen scheint inzwischen auf diesem Weg zu sein.

    Ich bin kein Lehrer, unterrichte aber gelegentlich. Der beste Unterricht ist immer der, der zu eigener Ambition inspiriert, zur Freude an der Ausbildung neuer Fähigkeiten auf Seiten der Schüler/Studenten. Wenn es mir gelingt, Richtung und Orientierung zu vermitteln, die im Dialog entsteht, ist der Erfolg unmittelbar erfahrbar. Man spürt dann ohne jeden Filter, was es heißen kann, ein menschliches Leben zu führen. Dies wird gerade von jungen Leuten sehr positiv aufgenommen, denn insbesondere zur Teenagerzeit sind wir unsicher und verwirrt (was auch gar nicht anders sein kann) und suchen nach Beistand und Inspiration für den eigenen Weg. Beistand, den Eltern und Schule in den letzten 30-40 Jahren immer weniger zu vermitteln bereit und in der Lage sind. Es entstehen Systeme der Verzweiflung, des nicht Zurechtkommens mit sich und seiner Umgebung, schließlich mit dem Leben an sich.

    Der Feminismus mit seiner ewigen Beschwörung der "Machtlosigkeit" der Frauen scheint mir eine der deutlichsten solcher Ausprägungen zu sein. Frau glaubt, ihr "ohne-Macht-sein" käme daher, daß verschwörerische Männer ihr selbige gestohlen hätten oder vorenthalten würden. Die Möglichkeit zu machen, zu tun, zu handeln, muß man sich aber erarbeiten. Fähigkeiten und Handlungsspielräume sind nichts, was irgendwo herumliegt und nur aufgesammelt werden muß. Die feministische Doktrin, die dem reinen Sein der Frau, ihrer bloßen Existenz, bereits den höchsten und allein genügenden Wert zuschreiben möchte, richtet sich gegen sie, da bloße Existenz richtungs- und orientierungslos ist. Eine solche Doktrin erzeugt notwendigerweise Unglück. Ohne es zu merken, beklagt sich die Feministin nicht primär über einen Mangel an Macht, sondern über einen Mangel an Sinn im Leben, den es ohne eigene Fähigkeiten, welche einem nicht geschenkt, sondern selbst erarbeitet werden, nicht geben kann. Der Sinnmangel ist ein schwarzes Loch in der Seele, welches alle Energie um sich herum aufsaugen will (ewige Sucht nach externer Validierung), aber letztlich nichts wirklich damit anfangen oder gar etwas an andere zurückgeben kann. Feminismus schadet daher Männern und Frauen gleichermaßen. Er steht für das Feiern der eigenen Unfreiheit im Namen des Fortschritts.

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    1. Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar, den ich nur unterstreichen kann.

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Vielen Dank für deinen Kommentar. Sobald ich ihn gelesen und geprüft habe, schalte ich ihn frei.
Viele Grüße
Gunnar