Das Deutsche Historische Museum
lädt zu einer Blogparade ein, Thema: Was bedeutet mir Demokratie. Eine Aspekt
dabei ist der Kampf um die Demokratie aus historischer Sicht.
(Update)
(Update)
Dass Geschichte von Siegern
geschrieben wird, ist eine Binsenweisheit. Und nachdem sich der Feminismus als
übergreifende Ideologie in nahezu allen Parteien und Medien festgesetzt hat,
sollte es niemanden verwundern, dass die feministische Sichtweise auf unsere
Vergangenheit dominiert. Ähnlich wie beim Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht“,
bei dem ignoriert wird, dass auch die meisten Männer keine Sekunde früher das
allgemeine Wahlrecht bekamen als Frauen (und die, bei denen das der Fall war,
hatten dieses Recht nicht, weil sie Männer, sondern weil sie reich waren), wird
heute so getan, als hätte Elisabeth Selbert 1948/49 im Alleingang gegen den
Widerstand rückwärtsgewandter Männer die Gleichberechtigung im Grundgesetz
erkämpft. Dabei kann man minutiös nachlesen, wie es wirklich war.
Gleichberechtigung im Artikel 3 GG
Nach der Zäsur durch die Nationalsozialisten ging man in Deutschland
daran, eine neue, bessere Republik aufzubauen. Gerechtigkeit war das Ziel, und
das beinhaltete auch Gleichberechtigung der Geschlechter.
Im Ausschuss für Grundsatzfragen wurde am 30.11.1948 beschlossen, den
Artikel 3, Absatz 1 wie folgt lauten zu lassen: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muss Gleiches
gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die
Grundrechte nicht angetastet werden. Verschiedenes nach seiner Eigenart –
und zwar, weil man beispielsweise „einen Schutz der Mutterschaft nicht für
Männer einführen“ könne und weil diverse Pflichten wie etwa die
Dienstverpflichtung zu Wasserwehr, Feuerwehrmannschaften und Polizeihilfsdienst
„nicht auch den Frauen auferlegt werden“ sollten.
Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes (ursprünglich Artikel 19) sollte
lauten: Männer und Frauen haben die
gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Der Satz war aus der
Weimarer Verfassung (Artikel 109) übernommen und das dort einschränkende
„grundsätzlich“ bereits gestrichen worden. Es folgte Absatz 3: Niemand darf wegen seines Geschlechtes (...)
benachteiligt oder bevorzugt werden.
Am 1.12.1948 brachte die SPD die Formulierung Männer und Frauen sind gleichberechtigt in den Ausschuss ein. Im
Hauptausschuss am 3.12.1948 (1. Lesung) rechtfertigte Elisabeth Selbert (SPD)
den Antrag, indem sie darauf hinwies, dass mit dem Wort „staatsbürgerlich“
nicht zwangsläufig auch die bürgerlichen Rechte (also beispielsweise das Ehe-
und Familienrecht) erfasst seien.
Dieses Problem hätte man mit Leichtigkeit dadurch aus der Welt schaffen
können, dass man das kritische Wort einfach wegließ: Männer und Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten. Zumal ja
darauf folgte: Niemand darf wegen seines
Geschlechtes (...) benachteiligt oder bevorzugt werden.
Alternativ dazu brachte die CDU am 18.1.1949 (2. Lesung) ebenfalls einen
vernünftigen Vorschlag ein: Männer und
Frauen haben die gleichen Rechte und Pflichten. Die Gesetzgebung hat dies auf
allen Rechtsgebieten zu verwirklichen.
Angenommen wurde jedoch am Ende – und zwar einstimmig – der Vorschlag
der SPD, der den Frauen gleiche Rechte gab, aber keine gleichen Pflichten von
ihnen verlangte. Das war durchaus kein Versehen. Der Ausschuss war sich darüber
im Klaren, dass Frauen zwar an manchen Stellen benachteiligt, an anderen jedoch
bevorzugt behandelt wurden.
Hermann von Mangoldt (CDU) gab beispielsweise in der Sitzung vom
1.12.1948 zu, „dass die Frau im Grunde genommen nach unseren
Gewerbeschutzbestimmungen teilweise erleichterte Arbeitsbedingungen hat und
einen gewissen Schutz genießt“. Daran wollte jedoch niemand rütteln: „Es
scheint mir selbstverständlich, dass die Formulierung ‚Männer und Frauen sind
gleichberechtigt’ nicht etwa dazu führen könnte, Schutzbestimmungen des
Arbeitsrechts oder des Sozialrechts zu tangieren, die zugunsten der Frau
geschaffen worden sind.“ (Carlo Schmid, SPD, 3.12.1948).
Theophil Kaufmann (CDU) in derselben Sitzung: „Es gibt umgekehrt eine
ganze Anzahl von Bestimmungen, die unmöglich auf den Mann angewendet werden
können, die vielmehr Sonderschutzbestimmungen im Interesse der Frau, auf Grund
ihrer Besonderheiten und ihrer besonderen Aufgaben, sind.“ Heinz Renner (KPD),
ebenfalls in dieser Sitzung: „Niemand kann doch wohl unterstellen, dass dem das
Wort geredet wird, die wenigen Sonderrechte sozialer Natur (...), die der Frau
aufgrund ihrer körperlichen Konstitution eingeräumt sind, anzutasten.“
Und Helene Weber (CDU) am 18.1.1949: „Dabei denken wir durchaus auch an
den Eigenwert und die Würde der Frau und denken nicht an eine schematische
Gleichstellung und Gleichberechtigung, wie mir neulich entgegengehalten wurde,
als man mich fragte, ob man darunter versteht, dass die Frau vielleicht
Kriegsdienste leisten soll. Nein, sagte ich, die soll sie ebenso wenig leisten,
wie wir vom Mann etwas erwarten, was dem Eigenwert der Frau allein entspricht.“
Und: „Wir sind sogar der Meinung, dass auf gewissen Gebieten die Frau Vorrechte
besitzen muss, wie zum Beispiel beim Mutterschutz und auf verschiedenen
Gebieten der Sozialpolitik.“
Schließlich noch Theodor Heuss (FDP) in derselben Sitzung: „Wir sind der
Meinung, dass der kommende Gesetzgeber eine sehr diffizile Aufgabe haben wird,
damit diese Gleichberechtigung nicht irgendwie zum Nachteil der Frau
interpretiert werden kann, dass wir in der sittlichen und der sachlichen
Motivierung des Gedankenganges ganz klar sein müssen, dass wir aber bei diesen
Geschichten der Unterhaltspflicht, und ich weiß nicht, was da noch
hereinspielt, nicht schließlich einem Formalismus verfallen dürfen, bei dem die
Frau nachher das Nachsehen hat.“
An einer Stelle geriet die Debatte in der Person von Walter Strauß (CDU)
gar zur Liebedienerei gegenüber den Frauen: „Gerade die vergangenen Jahre haben
wohl jedem Mann einschließlich der Junggesellen vor Augen geführt, dass die
Aufgaben der Frau fast sogar noch schwerer – auch physisch schwerer – sind als
die des Mannes.“
Zusammenfassend kann man also zur Stimmung in den Ausschüssen sagen,
dass ein durchgängiges Bewusstsein dafür herrschte, dass Frauen in allen Lebensbereichen
gleichberechtigt sein sollten, zugleich aber wollten weder die Männer noch die
Frauen von der Vorstellung lassen, Frauen seien etwas Besonderes, besonders
Schützens- und Verehrenswertes.
Auf die Idee, über mögliche Benachteiligungen von Männern nachzudenken,
kam der Ausschuss selbstredend nicht, es ging immer nur um die Frauen: „Was wir
wollen, ist vielmehr, dass Frauen nicht benachteiligt werden dürfen, wie es
lange Zeit der Fall war.“ (Ludwig Bergsträsser, SPD, 30.11.1948) Diese
Einstellung zog sich durch sämtliche Fraktionen, weshalb die Versuche heutiger
Feministinnen, die Ausschüsse als patriarchale Interessenvertretung männlicher
Privilegien zu denunzieren, absurd ist.
Helene Weber machte immerhin in der 2. Lesung deutlich: „Wir wollen also
die Gleichberechtigung der Frau, auch die der Pflichten, die damit verbunden
sind.“ Woraufhin ihr Elisabeth Selbert entgegenhielt, sie sei gegen die ausdrückliche
Erwähnung der Pflichten. Zum einen verwies sie auf eine mögliche Einbeziehung
im Kriegsfall: „Wir haben es in der Vergangenheit erlebt, dass Leben und
Schicksal vor der Frau auch dann nicht Halt gemacht hat, wenn die größten
Anforderungen an ihre Körperkonstitution gestellt wurden, sei es hinter dem
Flak-Scheinwerfer oder hinter dem Geschütz oder im Bombenhagel oder sonst wo.“
Zum anderen befürchtete sie, dass auch die Frau zur Unterhaltspflicht in der
Familie herangezogen werden könnte. Die Arbeit der Hausfrau und Mutter müsse
der Berufstätigkeit gleichgestellt sein, und dass andererseits eine
berufstätige Frau aus ihrem Einkommen Beiträge zum Unterhalt leiste, „ergibt
sich von selbst“.
SPD
1919 / SPD 1990
Wie gelang es Elisabeth Selbert, die alle Hebel in Bewegung setzen
wollte, „damit das so durchkommt, so wie ich das will“, dem Ausschuss eine
Formulierung aufzudrücken, die den Frauen sämtliche Rechte zuschanzte und sie
gleichzeitig von den Pflichten befreite?
In der 1. Lesung im Hauptausschuss sprach sie eine Drohung aus, die
angesichts der im 2. Weltkrieg getöteten Männer an Zynismus kaum zu überbieten
war: „Sollte der Artikel in dieser Fassung heute wieder abgelehnt werden, so
darf ich Ihnen sagen, dass in der gesamten Öffentlichkeit die maßgeblichen
Frauen wahrscheinlich dazu Stellung nehmen werden, und zwar derart, dass unter
Umständen die Annahme der Verfassung gefährdet ist. (...) Alle ‚Aber’ sollten
hier ausgeschaltet sein, da mit den Stimmen der Frauen als Wählerinnen als
denjenigen Faktoren gerechnet werden muss, die für die Annahme der Verfassung
ausschlaggebend sind, nachdem wir in Deutschland einen Frauenüberschuss von
sieben Millionen haben und wir auf hundert männliche Wähler hundertsiebzig
weibliche Wähler rechnen.“
Diese Drohung hat sie anschließend umgesetzt, indem sie mit Hilfe ihrer
Mitstreiterinnen, einer mobilisierten Öffentlichkeit und der Presse für einen
entsprechenden Druck auf den Ausschuss sorgte.
In der 2. Lesung behauptete sie dann: „Wir haben den Sturm, der draußen
in der Öffentlichkeit durch die Abstimmung bei der ersten Lesung dieses
Artikels im Hauptausschuss ausgelöst wurde, nicht verursacht.“ An dieser Stelle
sollte man vielleicht erwähnen, dass die Sitzungen des Hauptausschusses
presse-öffentlich waren.
Quelle:
Deutscher
Bundestag & Bundesarchiv: Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und
Protokolle, Band 5 (2 Bände): Ausschuss für Grundsatzfragen (München 1993,
Seite 643, 738-754, 779) und Band 14 (2 Bände): Hauptausschuss (München 2009,
Seite XXI, 510-517, 1309-1323). Spannend!!
Update:
Das Deutsche Historische Museum
lehnte die Übernahme dieses Artikels – eines Artikels, der sich ausschließlich
auf offizielle Quellen der Bundesregierung beruft – mit der Begründung ab, das
DHM würde „bestimmten Interessengruppen“ keine Plattform bieten. Bei einem vom
DHM übernommen Jubelartikel zu Elisabeth Selbert von einer Plattform, die vom
BMFSFJ im Rahmen von „Demokratie leben“ gefördert wird, störte die Interessengruppe
hingegen nicht.
So viel zum Thema Demokratie, so
viel zu „Wir wünschen uns vielfältige Sichtweisen und einen regen Austausch
untereinander“, so viel zu „Das Demokratie-Labor will bewusst machen, dass
Demokratie von der Partizipation und dem Engagement aller lebt. Wir handeln sie
ständig erneut durch verschiedene Meinungen und Positionen aus“.
Das Vortäuschen von Offenheit bei
gleichzeitiger hermetischer Abschottung ist staatlichen und staatlich
geförderten Institutionen mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen.
@Gunnar
AntwortenLöschenExzellenter Artikel und auf den Punkt - wie auch zu erwarten war! ;)
Entscheidend für mich im Sinne des demokratischen Nachkriegsverlaufs: "nachdem wir in Deutschland einen Frauenüberschuss von sieben Millionen haben und wir auf hundert männliche Wähler hundertsiebzig weibliche Wähler rechnen.“
Die Majorität der Wähler waren Wählerinnen und eine demokratische Entwicklung gegen die Interessen von Frauen wäre schlicht nicht durchsetzbar gewesen.
Darauf wollte sie "zartfühlend" hindeuten.
Vor diesem Hintergrund ist das feministische Narrativ, was das Patriarchat alles hat gegen "die Frauen" durchsetzen können offensichtlich bizarr.
Müsste man meinen.
Ich bleibe dabei: im Rahmen der Systemauseinandersetzung wurde Frauen in der BRD ein konservatives Frauen- und Familienmodell angeboten, das massiv gesellschaftlich/von Männern subventioniert worden ist.
Frauen in der BRD wurden überwiegend nicht gezwungen, sie haben sich korrumpieren lassen.
Aus diesem "quid pro quo" eine Erzählung werden zu lassen, die sich in die feministische Opfergeschichte einfügt war immerhin eine solide Leistung.
Schönen Gruß
crumar
Die waren schon immer die größten Sexisten, die man sich nur vorstellen kann. Gleichberechtigung ist für Feministinnen nur ein Wort ohne Bedeutung, das nur dazu benutzt wird, sich selbst mehr Sonderrechte zuzuschanzen.
AntwortenLöschenMan hat ja fast geahnt, dass auch an dem Selbert-Mythos nichts dran ist.
AntwortenLöschenSaubere Recherche, vielen Dank!
Nick
Hier der Link zum Artikel über Elisabeth Selbert, auf den Sie Bezug nehmen:
AntwortenLöschenhttps://www.demokratiegeschichten.de/elisabeth-selbert-und-der-kampf-fuer-die-gleichberechtigung/
Mittlerweile finden sich in den Kommentaren eine gute Ergänzung/Berichtigung von Kerstin Wolff und ein Link zum Film "Sternstunde ihres Lebens", der in der ARD-Mediathek zu finden ist.
Freundliche Grüße
Annalena