In den letzten Jahren habe ich
zahlreiche Bücher mit Medienkritik von Insidern gelesen, also von Menschen, die
selbst journalistisch gearbeitet oder Untersuchungen über den Journalismus
angestellt haben und darum wissen, wovon sie reden. Aufgrund der Vielzahl der
Autoren, die eine große Bandbreite an Aspekten abdecken, und der damit verbundenen
Meinungspluralität halte ich Jens Wernickes „Lügen die Medien?“* für das Beste,
was ich bisher zum Thema gelesen habe, ein exzellentes Buch, das ich nur jedem
empfehlen kann, der sich mit diesem Problem beschäftigen möchte. Dennoch
offenbart das Buch zugleich, weshalb die professionelle Medienkritik ein Teil
des Problems ist.
Zunächst zum Erfreulichen.
Walter van Rossum beschreibt
eindringlich den Konformismus der Journalisten, ebenso aber, dass sich ein
großer Teil der Gesellschaft mittlerweile mit der eigenen Unterdrückung
identifiziert und dass der journalistische Pluralismus, den es vor einigen
Jahrzehnten noch gegeben hat, mit dem Pluralismus in der Politik verschwunden
ist (25-26). Er hält die Rehabilitation des Systems der alten Öffentlichkeit
weder für realisierbar noch für wünschenswert und sieht eine Chance gerade
darin, dass viele Menschen derzeit lernen, sich ihre Informationen aus den
unterschiedlichsten Quellen selbst zusammenzusuchen (28).
Noam Chomsky zu lesen, der eine
grundsätzliche Medienanalyse vornimmt, ist immer ein Gewinn. Auch wenn der hier
abgedruckte Text bereits von 1997 stammt und sich auf die USA bezieht, hat er
nichts von seiner Aktualität verloren. Besonders der Abschnitt über
Universitäten, die eben keine unabhängigen Institutionen sind, sondern im
Gegenteil darauf ausgerichtet, ihre Studenten auf erwünschte Weise zu
sozialisieren (110-111), ist erhellend. Ebenso Chomskys Erklärung, warum es
bestimmten Leuten so leicht fällt, „von einem enthusiastischen Stalinisten zum
leidenschaftlichen Anhänger des Machtanspruchs der USA zu werden“ (114), ein
Verhalten, dass man auch hierzulande von etlichen angeblich Linken beobachten
kann.
Uwe Krüger untersucht die
Einbindung tonangebender Journalisten in transatlantische Netzwerke (131).
Rainer Mausfeld beschreibt die
Zerstörung des Sozialstaats, die gewollte soziale Atomisierung der Gesellschaft
und die Entwurzelung der Menschen zum Nutzen der Elite (ab 142) und warum
gerade linke Gruppierungen zur Stabilisierung einer neoliberalen Gesellschaft
beitragen: „Das ehemals linke und sich heute zumindest noch progressiv fühlende
Milieu kämpft nicht mehr gegen Ungleichheit, sondern gegen eine Diskriminierung
seiner eigenen Partikulargruppen und hat sich ansonsten recht behaglich im
Status Quo eingerichtet.“ (149)
Die Forschungsgruppe zu
Propaganda in Schweizer Medien beschreibt, wie abhängig selbst
Auslandskorrespondenten von den drei großen Nachrichtenagenturen sind (160) und
wie leicht PR über diese Agenturen in die Nachrichten gelangt (163).
Den größten Erkenntnisgewinn habe
ich aus dem Beitrag von Jörg Becker über die PR-Industrie gezogen. Zwar wusste
ich natürlich, dass bestimmte politische Lügen durch Werbefirmen lanciert
wurden, etwa die Brutkastenlüge im Vorfeld des Irakkrieges, aber dass dies
tatsächlich systematisch geschieht, dass Politiker, Organisationen und Regierungen
regelmäßig mit PR-Firmen zusammenarbeiten (178-195), war mir in diesem Ausmaß
nicht klar.
Michael Walter schlägt in
dieselbe Kerbe, wenn er beschreibt, wie diese PR-Maßnahmen funktionieren, indem
etwa vorgebliche Reformbewegungen von unten in Wahrheit von interessierter
Seite finanziert und betrieben werden (196 ff).
Die Auflistung von
Propagandamethoden (120) und Techniken der verdeckten Argumentation (269),
Erich Schmidt-Eenbooms Beitrag über Manipulationen des BND, Daniele Gansers
Ausführungen über die Diffamierung von Kritikern als „Verschwörungstheoretiker“
und Markus Fiedlers Artikel über Manipulationen in der Wikipedia runden das
Buch ab.
Lügenpresse?
Zwei Kritikpunkte möchte ich bei
allem Respekt für diese geballte Kompetenz äußern. Zum einen zeigt sich auch
hier die Furcht so mancher Kritiker, Tacheles zu reden. Die Taktik des
etablierten Medienbetriebs, jeden, der sie einer Lüge zeiht, als rechts zu verunglimpfen,
geht auf, wenn, wie so häufig, bei der Frage herumgeeiert wird, ob man den
Begriff „Lügenpresse“ verwenden darf / kann / sollte. Ja, Pauschalisierungen
sind immer problematisch, außerdem ist es wirksamer, Ross und Reiter zu nennen,
statt allgemeine Beschimpfungen von sich zu geben. Und ja, Journalisten werden
nicht von einem geheimen Strippenzieher gegängelt. Und drittens, ja, zweifellos
gibt es gute und integre Journalisten, auch im Mainstream, die allerdings nicht
den Tenor der Medien bestimmen. All das wird im Buch zu Recht deutlich gemacht,
und der Wunsch von Stephan Hebel, dass all jene Journalisten aus etablierten
und alternativen Medien, die etwas ändern wollen, doch kooperieren sollten
(84), ist ein sympathischer Gedanke.
Allerdings versuchen allzu viele
der versammelten Autoren mit rhetorischem Aufwand den Eindruck zu erwecken,
dass die Mehrheit der Journalisten in diesem Land zwar vielleicht bequem und
schlampig, aber grundsätzlich guten Willens und letztlich Opfer des Systems
seien.
Ulrich Teusch hält den Begriff
„Lügenpresse“ für diffamierend und ehrenrührig (46), dabei gibt er selbst zu,
dass Nachrichten gezielt unterdrückt werden (47). Der eigentliche Grund für den
Zustand der Medien seien nicht die Journalisten, sondern „ein Mediensystem, das
es dem einzelnen Journalisten immer schwerer macht, wahrhaftig und nach bestem
Wissen und Gewissen zu berichten.“ (49)
Ulrich Tilgner reagiert auf das
Wort Lügenpresse „allergisch. Denn es unterstellt einen bewussten Akt. Genau
diesen gibt es in den Medien aber ausgesprochen selten.“ (70)
Erich Schmidt-Eenboom sieht
hinter den Lügen von Journalisten nur die lautersten Motive, wenn er am
Beispiel der Berichterstattung über Syrienflüchtlinge ihre „humanitäre Sorge“
hervorhebt, „dass die Gesamtheit der Syrienflüchtlinge in ein schiefes Licht
geraten könne (...). Auch so kann man Rechtspopulisten in die Hände spielen.“
(227)
Der ärgerlichste Beitrag stammt
von Hektor Haarkötter, der der Bundesrepublik bescheinigt, „bei allen
Unkenrufen (...) eines der differenziertesten und auch am differenziertesten
berichtenden Mediensysteme der Welt“ zu haben. Denen, die „Lügenpresse“ rufen,
empfiehlt er allen Ernstes einen Blick in eines der „‚Quality Papers’ der
deutschen Presse“ oder in „die Politmagazine der öffentlich-rechtlichen Sender
oder Spiegel-TV“ (276-277). Und explizite Lügen könne es nicht geben, da seien
„bei einem so ausdifferenzierten Mediensystem wie dem deutschen doch wohl schon
die Marktgesetze vor: Würde ein Medium absichtsvoll die Unwahrheit behaupten,
würden sich doch die anderen Medienhäuser oder Sender mit Wonne darauf
stürzen.“ (277) Heilige Einfalt!, ist man da versucht auszurufen.
- Wenn so unterschiedlichen Menschen wie Sarah Wagenknecht, Eva Hermann (+ hier), Xavier Naidoo oder Donald Trump Dinge in den Mund gelegt werden, die sie nicht gesagt haben,
- wenn man jemanden mit Unterstellungen, Psychologisierungen, Unterschlagung wesentlicher Aussagen und aus dem Zusammenhang gerissenen Satzfetzen persönlich diffamiert, um mit ihm stellvertretend die Männerbewegung in Deutschland in Misskredit zu bringen,
- wenn Ereignisse von Journalisten inszeniert werden wie etwa die helfenden Flüchtlinge beim Hochwasser in Schwäbisch-Gmünd,
- wenn Bilder willkürlich interpretiert oder zusammenmontiert werden wie beim „Bild des ostukrainischen Kämpfers an der Absturzstelle der MH17, der vermeintlich triumphierend einen Plüschteddy in die Luft streckt“ (262) oder beim Bericht über den Trauermarsch nach den Pariser Anschlägen, der angeblich von Staatschefs vieler Länder angeführt wurde (263),
- wenn Nachrichten mit Bildern aus anderen Zusammenhängen unterlegt werden wie etwa 2014 Berichte über angebliche russische Kampfpanzer in der Ukraine mit Aufnahmen von 2008,
- wenn ein Junge einen historischen Zahn findet und stattdessen behauptet wird, es sei ein Mädchen gewesen, das während des Fundes nicht mal vor Ort war,
dann ist das nicht schlampig oder
ein Versehen, sondern eine Lüge. Und wer anders soll dafür verantwortlich sein,
als der Journalist, der diese Manipulationen vorgenommen hat? Der „Markt“? Das
„System“? Der Pollenflug?
Ja, Journalisten sind in
Strukturen eingebettet, die sie im Laufe ihrer Ausbildung dazu erziehen, „richtig
zu denken“ (Rainer Mausfeld, 139). Und ja, der Kampf gegen solche Strukturen,
die einen gründlichen und ehrlichen Journalismus erschweren, ist wichtig. Und
drittens, ja, es ist auch richtig, dass in den letzten Jahrzehnten mit dem
Verweis auf „Eigenverantwortung“ der Sozialabbau gerechtfertigt wird (81, 193)
und deshalb eine gewisse Vorsicht gegenüber diesem Begriff angebracht ist.
Der berechtigte Kampf gegen
gesellschaftliche Missstände entlässt den einzelnen Journalisten aber nicht aus
seiner Verantwortung für die eigenen Taten. Wer Sachverhalte in ihr Gegenteil
verkehrt, lügt. Und zwar bewusst. Insofern hat die Medienkritik von innen mit
dem permanenten Verweis auf die Rahmenbedingungen, in denen Journalismus heutzutage
stattfindet, oftmals Ventilfunktion: Der berechtigte Zorn derer, die
hierzulande verarscht werden, wird kanalisiert und auf ein ominöses „System“
gelenkt.
Glücklicherweise, und daran zeigt
sich eben wieder die Qualität und der Pluralismus des Buches, gibt es auch
Autoren, die sich nicht vor deutlichen Worten scheuen.
Zum Beispiel Volker Bräutigam,
der klipp und klar sagt, bestimmte Worte zum Tabu zu erklären, sei auch nur
eine Form, Herrschaft auszuüben. „Wenn eine Gruppe von Medien wider besseres
Wissen häufig unwahre Darstellungen veröffentlicht, wenn Texte auf Deutsch
gesagt Lügen sind, dann ist der Begriff Lügenpresse auch angemessen.“ (61)
Und Werner Rügemer, der in einem
informativen Artikel den Werdegang der Nazipresse bzw. einiger Nazijournalisten
nach 1945 nachzeichnet, stellt klar, dass das Wort Lügenpresse „ein eingeführter
demokratischer Kampfbegriff ist, der ebenso eine linke Tradition hat, an die
sich heute, wo die ‚Enteignet Springer!’-Rufe verdrängt sind, offenbar nur niemand
mehr zu erinnern wagt.“ (86)
„Es kommt immer darauf an, wer
welches Wort verwendet und wofür und an wen man es richtet“, sagt Eckart Spoo
(von dem es zudem einen schönen Abschnitt zum Thema Sprachregelung gibt
(72-74)) und verweist darauf, dass immer Interessen beteiligt sind. Das hält
ihn aber nicht davon ab, unmissverständlich zu erklären: „Dass es hierzulande
eine Lügenpresse gibt, sollte spätestens nach Günter Wallraffs Recherchen bei
der Bild-Zeitung allgemein bekannt
sein.“ (100-101)
Geschlechterdiskussion
Mein zweiter Kritikpunkt ist
inhaltlicher Art: Ich finde es bezeichnend, dass in der Medienkritik von
Insidern grundsätzlich die Geschlechterproblematik ausgeblendet und kein Wort
über die tendenziöse Darstellung von Mann und Frau verloren wird, abgesehen von
einer Handvoll Sätze über die Instrumentalisierung von „Frauenfragen“ zur
Kriegstreiberei (189, 219, 222). Gerade an dieser Stelle hätte man einhaken
können. Warum fehlt beispielsweise die naheliegende Schlussfolgerung, dass es
offenbar niemanden interessiert, wenn nur Männer krepieren?
Der Geschlechteraspekt hätte auch
gut zum Artikel über Manipulationen in der Wikipedia gepasst, wo Menschen, die
sich für Menschenrechte auch für Männer engagieren, systematisch verleumdet
werden. Oder zu Rainer Mausfelds
Analyse der Zerstörung des Sozialstaats und der Ablenkungsmethoden der Elite.
Denn die uralte und immer wieder funktionierende Strategie des
Teile-und-herrsche ist ja nirgends so evident wie in der erfolgreichen Taktik,
Frauen gegen „die Männer“ aufzuhetzen, die angeblich für alles Unglück der Welt
verantwortlich sind, und damit von der Politik der Bundesregierung, George Soros’
Destabilisierung ganzer Nationen und dem Think Tank von Bertelsfrau abzulenken.
Und dass der von Soros und Konsorten finanzierte Feminismus mit seiner politisch
gewollten Zerstörung der Familien zu jener Entwurzelung beiträgt, die den
neoliberalen Kräften in die Hände spielt, ist für jeden, der nicht mit
Scheuklappen herumläuft, ebenso unübersehbar.
Es erfordert durchaus Mut, die
heuchlerische Berichterstattung über die Ukraine, über Syrien, über die
Zerstörung des Sozialstaats anzuprangern, doch dabei kann man sich immerhin auf
eine lange Tradition des Kampfes für Frieden und soziale Gerechtigkeit berufen
und sich der Zustimmung jener Menschen sicher sein, die ihre Ideale nicht für
einen Knochen vom Tisch der Mächtigen verkauft haben.
Gegen den herrschenden
Geschlechterdiskurs anzuschreiben, der sich auf eine zweihundertjährige
Männerverachtung stützt**, erfordert ein ungleich stärkeres Rückgrat. Und wenn
die Tatsache, dass Mann und Frau in den Medien grundsätzlich mit zweierlei Maß
gemessen werden, in keinem einzigen Beitrag des Buches, ja, soweit ich weiß in
keinem einzigen medienkritischen Buch von Insidern auch nur am Rande erwähnt
wird, obwohl die einseitige Berichterstattung in diesem Bereich mindestens so
auffällig ist wie in kriegshetzerischen Beiträgen, dann muss man wohl
konstatieren, dass auch die professionelle Medienkritik nicht den Mut hat, dieses
heiße Eisen anzupacken.
* Jens Wernicke: Lügen die Medien? Propaganda,
Rudeljournalismus und der Kampf um die Öffentliche Meinung (Westend Verlag,
Frankfurt am Main 2017)
** Das unmoralische Geschlecht. Zur Geburt der
Negativen Andrologie (Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008)
Prima Rezension und Kritik!
AntwortenLöschenBesten Dank hierfür!